Wie Quanten die Technik revolutionieren

Kleiner, präziser und empfindlicher: Die Sensoren der Zukunft werden aus einzelnen Atomen bestehen, sagen Physiker. Auch die Materialforschung setzt auf die kleinsten Bausteine der Materie: Wo Großcomputer versagen, könnten Quanten die richtigen Antworten liefern.

Wenn Meteorologen wissen wollen, wie Wirbelstürme entstehen, füttern sie normalerweise Supercomputer mit Daten der Atmosphäre. Im Prinzip könnten sie auch versuchen, einen kleinen Wirbelsturm im Labor nachzubauen - um von diesem Miniaturmodell dann auf den echten, den großen Wirbelsturm zu schließen.

Das wäre absurd? In der Meteorologie wohl schon. Aber nicht in der Physik. Wenn Physiker mit ihren Berechnungen nicht weiterkommen, dann tun sie genau das: Sie bauen die Moleküle, über die sie mehr wissen wollen, in einer abgerüsteten Variante im Labor einfach nach. Quantensimulator heißt diese Maschine.

Gase unter totaler Kontrolle

Die Idee stammt von Richard Feynman. Der amerikanische Nobelpreisträger erkannte bereits in den 80er Jahren, dass selbst die leistungsstärksten Computer an den Berechnungen bestimmter quantenphysikalischer Probleme scheitern würden. Dann nämlich, wenn die Gleichungen zu komplex sind.

Das ist relativ schnell der Fall, sofern man wissen will, wie sich Materie auf dem Niveau der Atome, Elektronen und Photonen verhält. Feynmans Vorschlag lautete daher: Wenn man mit digitalen Rechnern nicht weiterkommt - warum nehmen wir nicht gleich Quantensysteme für diese Berechnung?

Der Vorschlag mutete damals einigermaßen exotisch an. Heute ist Feynmans Vision im Laboralltag angekommen. Quantensimulatoren gibt es bereits, wenngleich die Forscher noch nicht darüber einig sind, wie die endgültige „Hardware“ aussehen sollte.

Eine Möglichkeit wäre, dass man Quantensimulatoren aus Gasen herstellt, sagt Tilmann Esslinger von der ETH Zürich. „Das klingt fürs erste idiotisch, denn ein Gas ist der Inbegriff der Zufälligkeit. Aber wir können die Zufälligkeit aus dem System entfernen - und zwar, indem wir die Gase bis nahe dem absoluten Nullpunkt abkühlen. Dann wird das Gas plötzlich geordnet.“

Künstliche Photosynthese

Die Gasteilchen sperren die Physiker in Lichtfallen, dann ist das System unter totaler Kontrolle. Soweit ist die Methode bereits gediehen, nun arbeiten die Forscher am nächsten Arbeitsschritt. Mittelfristig wollen sie die ruhiggestellten Gasteilchen wie Legobausteine zusammensetzen, um damit das Verhalten von viel größeren Molekülen zu erforschen. Auf diese Weise könnte man soweit in chemische Reaktionen hineinzoomen, dass die Elektronenwolken der Atome zum Vorschein kämen. Materie in Hochauflösung.

Auf ähnliche Weise, hier allerdings mit Hilfe von in Laserlicht gefangenen Rubidium-Atomen, könnte man auch eine künstliche Photosynthese entwickeln, sagt Tommaso Calarco von der Universität Ulm. „Wir verstehen bis heute nicht, warum die Blätter eines Baumes die Energie des Sonnenlichts so unglaublich effizient einfangen können. Mit Quantensimulatoren könnten wir der Natur die entscheidenden Tricks abschauen.“

Sendungshinweis

Über das neue EU-Flaggschiff berichten heute auch die Ö1-Dimensionen: " Quo vadis Quantenphysik?", 20.5., 19.05 Uhr

Calarco hatte dieser Tage einen großen Auftritt. Er präsentierte in Amsterdam ein wissenschaftliches Manifest. Das Dokument gibt eine Prognose darüber ab, was uns den nächsten Jahrzehnten im Feld der Physik und Technologie erwartet. Quantencomputer, Quantensimulatoren, Quantensensoren - nach Ansicht von Calarco und seinen Kollegen werden diese Maschinen zu einer Revolution führen. Nun gelte es, die Entwicklung nicht zu verschlafen und die europäische Forschung „quantenfit“ zu machen. Die Europäische Kommission ließ sich von dem Aufruf jedenfalls überzeugen: Sie fördert nun ein Forschungsflaggschiff zum Thema Quantenphysik. Das eine Milliarde Euro schwere Großprojekt soll bereits 2018 starten..

Nanosensoren im Blut

Relativ weit fortgeschritten ist die Forschung auch bei einem anderen Schwerpunkt des Projekts, nämlich bei den sogenannten Quantensoren. Fedor Jelezko von der Universität Ulm entwickelt gerade einen wenige Nanometer kleinen Sensor aus Diamant, in dessen Inneren ein einzelnes Stickstoffatom sitzt.

Der eigentliche Messfühler in diesem Sensor sind die Elektronen des Stickstoffs, die extrem empfindlich auf elektromagnetische Signale reagieren. Dieser Umstand könnte der Medizin zu Gute kommen. Jelezko erwartet, dass solche Nanosensoren einmal im Blut von Patienten flottieren und dort Krankheiten im Frühstadium erkennen werden.

Er hat bei Versuchen im Reagenzglas nachgewiesen: Die Methode funktioniert im Prinzip, Quantensensoren könnten schädliche Moleküle im Körper anhand ihrer elektromagnetischen Signatur erkennen. Ungeklärt ist bislang, ob solche Sensoren nicht auch Schäden im Körper anrichten könnten. Erste Tests an Patienten könnten laut Jelezko in zehn bis 15 Jahren beginnen.

Im Bereich des Möglichen seien auch Sensoren, die das Verhalten einzelner Neuronen messen können, sagt Tommaso Calarco. Und warnt im gleichen Satz vor allzu großen Erwartungen: „Was das alles bringen wird, wissen wir noch nicht. Was wir sagen können, ist: Die Genauigkeit und Auflösung von heutigen Diagnosemethoden wird sich sprunghaft verbessern.“

Robert Czepel, science.ORF.at