Neandertaler-Kultstätte gibt Rätsel auf

Er galt als Tollpatsch, dem der Mut fehlte, sich in dunkle Höhlen vorzuwagen. Wohl zu Unrecht: Schon vor mehr als 175.000 Jahren legte der Neandertaler im Feuerschein tief im Innern einer Tropfsteinhöhle komplizierte Mäuerchen an - vielleicht für Rituale.

Zu dem Schluss kommt eine am Mittwoch im Fachblatt „Nature“ veröffentlichte Studie über die Bruniquel-Höhle im Südwesten Frankreichs. „Neandertaler waren erfinderisch, kreativ und geschickt“, resümiert Jacques Jaubert von der Universität Bordeaux. „Das waren keine Wüstlinge, die den ganzen Tag vor dem Feuerstein saßen oder Bisons jagten.“

Der Neandertaler lebte rund 300.000 Jahre lang in Teilen Europas, Zentralasiens und der Levante, bevor er vor rund 40.000 Jahren ausstarb.

Bruniquel-Höhle: Kultstätte der Neandertaler mit kreisförmigen Mäuerchen

Etienne FABRE - SSAC

Tropfsteinkreise in der Grotte von Bruniquel

Die rätselhaften Mäuerchen aus abgebrochenen Stalakmiten waren schon 1992 mehr als 300 Meter im Innern der Höhle entdeckt worden. Sie sind teilweise kreisförmig und messen mehrere Meter im Durchmesser. Eine erste Analyse aus den 90er Jahren datierte die Funde auf mindestens 47.000 Jahre. Die neue Studie mit Hilfe der Uran-Thorium-Methode ergab ein Alter von 176.500 Jahren. Die Mäuerchen gehören damit zu den ältesten bekannten Bauwerken von Vorfahren des modernen Menschen.

Der Studie zufolge brachen die Neandertaler die Stalakmiten in 400 ähnlich große Stücke und stapelten sie zu einer Gesamtlänge von 112,4 Metern. Die Bruchstücke hatten ein Gewicht von 2,2 Tonnen - was darauf hinweist, dass es sich um eine Gruppenarbeit handelte. Auch Spuren von Feuer und verbrannten Knochen wurden gefunden. „Unsere Entdeckungen legen nahe, dass ihre Gesellschaft Elemente der Modernität aufwies - viel früher als bislang angenommen“, schreiben die Autoren.

Die Forscher um Jaubert schließen aus, dass die runden, bis zu kniehohen Wälle durch Zufall etwa von einem Bären aufgeschichtet wurden. Den wahren Zweck der Konstruktion konnten sie bislang nicht enthüllen. Es lasse sich allenfalls vermuten, dass sie einen symbolischen oder rituellen Zweck erfüllten, heißt es in der Studie. „Was uns am meisten überraschte, war, dass sie sich so weit in die Höhle vorgewagt haben, weit weg von natürlichem Licht“, sagt Jaubert.

science.ORF.at/AFP

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