Musik: Was Jäger und Sammler schön finden

Sind die musikalischen Vorlieben des Menschen erlernt oder angeboren? Untersuchungen an einem Stamm im Amazonas-Regenwald zeigen: Die Wahrnehmung des Wohlklangs ist kulturell geprägt.

Konsonanz und Dissonanz - auf diesem Gegensatzpaar wurde die westliche Musik errichtet. Töne, deren Frequenzen in einem einfachen ganzzahligen Verhältnis stehen - zum Beispiel 3:2 und 5:4, wie bei Quint und Terz - gehören zu den wohlklingenden. Andere indes, etwa das Halbtonverhältnis 16:15, gelten als dissonant, sprich: als mehr oder minder unangenehm. Ist diese Wahrnehmung universell - empfinden alle Menschen so?

Wissenschaftler spielt einem Mann vom Stamm der Tismane Hörproben auf einem Kopfhörer vor

Josh McDermott

Forschung im Regenwald: wohlklingend oder nicht?

Um diese Frage zu beantworten, haben Forscher um Josh McDermott vom Massachusetts Institute of Technology Tests mit Probanden unterschiedlicher Herkunft durchgeführt: mit US-Amerikanern, bolivianischen Stadtbewohnern - sowie mit Jägern und Sammlern vom Stamm der Tsimane. Letztere leben abgeschieden im bolivianischen Regenwald und verfügen über eine eigenständige musikalische Tradition.

Dieser Umstand hat offenbar auch ihr ästhetisches Empfinden geprägt, wie McDermott und seine Kollegen im Fachblatt „Nature“ berichten: Während die Amerikaner und die in Städten lebenden Bolivianer konsonante Tonkombinationen klar bevorzugten, zeigten die Tsimane keinerlei Präferenzen. Konsonanz, Dissonanz - für sie war in den Tests alles gleich schön (siehe Hörbeispiel).

Gleichwohl reagierten sie auf andere Reize keineswegs indifferent. Den Klang des Lachens zogen sie etwa wie die anderen Probanden dem Seufzen vor. Nur bei Harmonien und Akkorden passte ihre Reaktion nicht ins westliche Kulturschema.

Schönheit ist kulturabhängig - aber nicht beliebig

Schluss der Forscher: Ob etwas schön ist oder nicht, hängt maßgeblich von der kulturellen Prägung ab. Wie der kanadische Musikwissenschaftler Robert Zatorre in einem Kommentar hinweist, sollte man daraus aber nicht folgern, dass musikalische Schönheit in jeder Hinsicht beliebig ist. Die Musik der Tsimane kenne nämlich nur einfache Melodielinien, jedoch kein Nebeneinander von Tönen oder Stimmen. Demnach könnten die Versuche auch bedeuten, dass Konsonanz und Dissonanz für die Tsimane schlicht irrelevant sind. Oder auch, dass sie diese Kategorien mangels Hörerfahrung nicht gut zu unterscheiden vermögen.

Ein Detail in McDermotts Testreihe weist darauf hin, wo die Grenzen musikalischer Vorlieben liegen könnten. Tonkombinationen mit einem besonders „rauen“ akustischen Profil - „roughness“ im Englischen - fanden die Urwaldbewohner ebenso unangenehm wie die Probanden aus dem Westen. Vor zwei jahren hatten deutsche Forscher bereits nachgewiesen, dass Töne mit solchen Eigenschaften im Gehirn eine Art Alarmsignal auslösen.

Somit ist in dieser Neuauflage der alten Anlage-Umwelt-Debatte wohl auch nicht das letzte Wort gesprochen. Musikalische Schönheit lässt sich - wie bewiesen - nicht über einen kulturellen Kamm scheren. Dass es bei der Wahrnehmung des schönen Klanges auch angeborene Faktoren geben könnte, ist dennoch nicht auszuschließen.

Robert Czepel, science.ORF.at

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