Türkei verbietet Forschern die Ausreise

Nach Verhaftungs- und Suspendierungswellen in der gesamten Türkei zieht die „Säuberungsaktion“ von Präsident Recep Tayyip Erdogan immer weitere Kreise. Nun wurden Uni-Mitarbeitern jegliche Auslandsreisen „bis auf Weiteres“ verboten.

Bereits am Dienstag verloren 21.000 Lehrer an Privatschulen ihre Lehrerlaubnis, rund 1.600 Hochschuldekane wurden zum Rücktritt aufgefordert, im Bildungsministerium sprachen die Behörden die Suspendierung von 15.200 Personen aus.

Heute, Mittwoch, untersagte der türkische Hochschulrat allen Universitätslehrkräften und Wissenschaftlern Reisen ins Ausland. Uni-Mitarbeiter, die sich bereits zu Dienst-oder Forschungsaufenthalten im Ausland aufhielten, sollten überprüft werden und „so schnell wie möglich“ in die Heimat zurückkehren, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Erdogan verdächtigt seinen einstigen Verbündeten Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch vom vergangenen Wochenende zu stehen - der in den USA lebende islamische Prediger weist die Vorwürfe zurück. Den entlassenen und suspendierten Beamten wirft die türkische Führung Verbindungen zur Gülen-Bewegung vor. Sie betreibt zahlreiche Privatschulen.

Scharfe Kritik europäischer Unis

Der Hochschulrat rief alle Hochschulrektoren auf, ihre Mitarbeiter im Lehrbetrieb und in der Verwaltung auf etwaige Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu überprüfen. Das gelte auch für ausländisches Lehrpersonal. Ihre Berichte würden bis zum 5. August erwartet. Aus Regierungskreisen hieß es, es handle sich um eine vorübergehende Maßnahme. Damit solle die Flucht von „angeblichen Komplizen der Umstürzler in Universitäten“ verhindert werden.

Die European University Association (EUA) verurteilte die Entlassungswelle. „Die EUA verurteilt diese Aktionen gegen Universitäten und deren Mitarbeiter scharf und bedingungslos und versichert den Hochschulangehörigen in der Türkei ihre aufrichtige Unterstützung in diesen Zeiten“, heißt es in der Aussendung.

Die Türkei brauche nach dem versuchten Militärputsch mehr als je zuvor Redefreiheit, öffentliche und offene Debatten, wie diese an den Unis gepflegt würden. Die EUA rief deshalb alle Regierungen, Universitäten und Wissenschaftler Europas dazu auf, ihre Stimme gegen die aktuellen Entwicklungen zu erheben.

„Hexenjagd gegen Opposition“

Wegen der massenhaften Verfolgung von Erdogan-Gegnern rechnet die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mit der Zuwanderung von Flüchtlingen aus der Türkei. „Wenn sich die Lage weiter verschlechtert und die Hexenjagd gegen jegliche Opposition in der Türkei weitergeht, dann wird es eine Flüchtlingsbewegung Richtung Europa geben“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer von Pro Asyl, Bernd Mesovic. Allerdings könne es sein, dass bis zu einer größeren Fluchtbewegung noch einige Zeit vergeht: „Solange Menschen Hoffnung auf Veränderung haben, bleiben sie in ihrem Land.“

Insgesamt wurden seit dem fehlgeschlagenen Putsch von Freitagabend rund 50.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes entlassen oder suspendiert, darunter tausende Richter und Staatsanwälte. Mehr als 8.500 Menschen wurden festgenommen. Bei dem Putschversuch des Militärs kamen rund 300 Menschen ums Leben.

„EU muss Türkei überwachen“

Der Umsturzversuch vom Freitagabend hat auch Forderungen nach der Todesstrafe ausgelöst. Erdogan hat angekündigt, einer Wiedereinführung zuzustimmen, sollte das Parlament eine entsprechende Verfassungsänderung beschließen. Die EU hat gedroht, in einem solchen Fall die Beitrittsverhandlungen mit Ankara zu beenden.

Angesichts der Entwicklungen in der Türkei forderte der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, die Errichtung einer „Ad-hoc-Monitoring- Group“ von EU und Europarat zur Überwachung der Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der EU-Grundrechtecharta und der Kopenhagener Kriterien.

Diese Beobachtergruppe solle die Türkei permanent überwachen und halbjährlich an das Parlament und die Kommission Bericht erstatten, denn die europäischen Institutionen seien das „einzige Korrektiv und der einzige Rest von Kontrolle, die Erdogan noch hat. Wir dürfen die Türkei nicht in eine Richtung abdriften lassen, die uns noch weniger gefällt, als das, was wir jetzt sehen“, so Karas in einer Aussendung.

science.ORF.at/APA

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