Experiment: Schalter ein, Fliege schläft

Der Zustand von ein paar Nervenzellen entscheidet darüber, ob Fliegen wachen oder schlafen. Dieser Schlafschalter im Gehirn lässt sich auch künstlich betätigen, wie ein Versuch zeigt: Steht er auf „On“, schlafen die Fliegen augenblicklich ein. Möglicherweise gibt es auch im Gehirn des Menschen einen solchen Schalter.

„Der Schlaf ist eines der großen ungelösten Rätsel der Biologie. Jedes Tier mit einem Gehirn muss sich pro Tag ein paar Stunden von der Welt verabschieden - das hat auch Nachteile: Dann ist das Tier verwundbar, es kann nicht fressen, nicht trinken, noch sonst etwas tun“, sagt Gero Miesenböck. „Stellen Sie sich vor, die Evolution hätte ein Tier erfunden, das nicht schlafen müsste. Es hätte einen ungeheuren Selektionsvorteil!“

Hätte es - wenn so ein Tier denn existierte. Die Evolution hat diese Erfindung nie gemacht, was darauf hinweist, dass es ohne Schlaf einfach nicht geht. „Warum das so ist, wissen wir bis heute nicht “, sagt Miesenböck, gebürtiger Österreicher und Professor für Neurophysiologie in Oxford.

Fruchtfliege Drosophila in Großaufnahme

Qinyang Li

Dem Menschen punkto Schlaf ähnlicher als gedacht: die Fruchtfliege Drosophila

Hypothesen dazu gäbe es. Eine besagt, dass der Schlaf vor allem der Regeneration der Synapsen dient - jenen Stellen also, an denen sich die Information den Nervennetzen gewissermaßen einschreibt. Daher schlafen wir, um weiter lernen zu können. Eine andere Hypothese besagt, dass der Schlaf dazu da ist, um überschüssige Stoffwechselprodukte aus den Zellen zu entfernen. Das Nickerchen wäre so gesehen nichts anderes als jene Phase, während der die chemische Putzkolonne im Gehirn aktiv wird.

Miesenböck findet beide Hypothesen nicht völlig überzeugend. Warum geht das nicht einfacher? Warum muss sich das Gehirn beim Regenerieren oder Putzen stundenweise abschalten?

Nickerchen auf Knopfdruck

Ö1-Sendungshinweis

Über diese Studie berichtet auch Wissen aktuell, 4. August 2016, 13.55 Uhr.

Wenn man mit dem Warum nicht weiterkommt, hilft es manchmal, sich auf das Wie zu konzentrieren. Hier ist Miesenböck nun einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Er und sein Team haben im Gehirn von Fruchtfliegen Nervenzellen entdeckt, die zwei Zustände kennen, aktiv und stumm, „on“ und „off“: Ist der Neuronenschalter im „On“-Modus, schläft die Fliege. Ist er im „Off“-Modus, bleibt die Fliege wach.

Dass es sich so verhält, hat Miesenböck mit Hilfe einer von ihm entwickelten Methode, der Optogenetik, nachgewiesen. Damit kann man Nervenzellen durch Lichtsignale aktivieren - und auf diese Weise überprüfen, welche Funktion sie haben.

Wie Miesenböck mit seinen Kollegen im Fachblatt „Nature“ schreibt, entscheidet der Botenstoff Dopamin darüber, in welcher Position sich der Schlafschalter befindet. Letzterer sitzt bei den Fliegen in einer Hirnregion namens „dFB“ (von „dorsal fan-shaped body“).

Auch beim Menschen?

Ob es so einen Schalter auch im menschlichen Gehirn gibt, ist nicht bewiesen, aber wahrscheinlich. Denn auch beim Menschen hat Dopamin einen entscheidenden Einfluss auf den Rhythmus von Wachen und Schlafen. Kokain und Amphetamine etwa wirken deswegen aufputschend, weil sie die Wiederaufnahme von Dopamin in Nervenzellen verzögern und folglich mehr Moleküle des Botenstoffs im Gehirn flottieren.

Und es gibt im menschlichen Gehirn auch Nervenzellen, denen man eine ähnliche Funktion wie dem Schlafschalter der Fliegen nachsagt, sie liegen im Hypothalamus (genauer: in einer Region namens „VLOP“). Sollte das zutreffen, wären sie eine ideale Ansatzstelle für eine neue Generation von Schlafmitteln. Das nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Miesenböck bei seinen Versuchen bis auf die Ebene der Moleküle vorgearbeitet hat.

Die Schlafschalterneuronen werden, wie die Forscher nachwiesen, letztlich von zwei Ionenkanälen gesteuert. Einer davon war bisher völlig unbekannt, womit es Miesenböck auch oblag, der Pforte in der Zellmembran einen Namen zu geben. Er entschied sich für eine Anleihe aus der europäischen Sagenwelt: „Sandman“.

Robert Czepel, science.ORF.at

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