Ephesos-Grabungsleiterin hofft noch

Seit rund 120 Jahren graben und forschen österreichische Archäologen in der antiken Stadt Ephesos. Wegen der politischen Spannungen zwischen der Türkei und Österreich ist damit vorerst Schluss – doch Grabungsleiterin Sabine Ladstätter hat noch Hoffnungen.

Auf Anordnung des türkischen Außenministeriums müssen die Grabungsarbeiten beendet werden, wie eine türkische Nachrichtenagentur am Sonntag meldete. Das löste große Betroffenheit der Wissenschaftler aus – so auch bei Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Rund ein Dutzend Mitarbeiter sind laut ÖAW von der Entscheidung betroffen. Größere Auswirkungen auf die aktuellen Forschungen seien jedoch nicht zu befürchten: Betroffen sind insbesondere die Restaurierungsprojekte, die eigentlichen Grabungsarbeiten wurden bereits mit Ende August regulär abgeschlossen.

„Die Türkei und Österreich blicken auf eine lange und sehr erfolgreiche archäologische Zusammenarbeit in Ephesos. Es ist der ÖAW ein wichtiges Anliegen, diesen für alle Seiten gewinnbringenden internationalen wissenschaftlichen Austausch auch in Zukunft weiterzuführen“, so ÖAW-Präsident Anton Zeilinger in einer Aussendung.

Wie dieser aussehen könnte, ist derzeit noch unklar - Grabungsleiterin Ladstätter hat die Hoffnung jedenfalls nicht aufgegeben, wie sie im Ö1-Mittagsjournal gegenüber Cornelia Vospernik betonte.

Wann haben Sie vom unverzüglichen Stopp der Grabungsarbeiten in Ephesos erfahren?

Sabine Ladstätter: Letzten Dienstag in Wien. Ich bin dann sofort nach Ephesos geflogen, wo wir am Mittwoch tatsächlich einen entsprechenden Brief des Kulturministeriums – der sich auf das türkische Außenministerium bezogen hat – empfangen haben. Dessen Inhalt ist uns nicht bekannt.

Laut Agenturmeldung begründet das türkische Außenministerium die Entscheidung mit der österreichischen Politik gegenüber der Türkei. Können Sie das bestätigen?

Nein, ich kenne das auch nur aus den Agenturmeldungen. Da es sich aber um eine staatliche Agentur handelt, gehe ich davon aus, dass sie im Außenministerium nachgefragt haben und es tatsächlich mit der österreichischen Politik zu tun hat.

Betrifft die Entscheidung nur das österreichische Team?

Nein, die gesamte Grabung Ephesos ist betroffen. Das ist zwar eine österreichische Lizenz, aber wir haben diese in den letzten Jahren zu einer internationalen Forschungsplattform ausgebaut: Zurzeit arbeiten 200 Forscher und Forscherinnen aus über 20 Nationen in Ephesos, darunter auch 55 türkische Mitarbeiter. Die haben nun ebenso ihre Arbeit verloren wie jene aus Deutschland, Großbritannien, Griechenland oder Österreich.

Sind sie alle Opfer der österreichischen Politik gegenüber der Türkei?

So würde ich das nicht bezeichnen. Es sind einfach Reaktionen auf politische Spannungen, die wir als Wissenschaftler nicht beeinflussen können. Ganz im Gegenteil: Wir haben sehr lange eine sehr gute Kooperation aufgebaut. Dass es uns trifft, ist schon sehr hart.

Was bedeutet das für die Ausgrabungen und für Ihr Engagement?

Minister bedauert

Wissenschaftsminister und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) stellte in einer Stellungnahme fest: „Ich bedaure diese Entscheidung sehr, weil sie Politik und Wissenschaft vermischt und im Widerspruch zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit steht, die wir über viele Jahre in Ephesos gepflegt haben. Mit diesem Schritt wird die Freiheit der Wissenschaft weiter eingeschränkt.“

Zum einen habe ich schon den ganzen – wie Sie sich vorstellen können durchaus schwierigen – Sommer versucht alles zu tun, damit meine Mitarbeiter, die vielen Diplomanden und Dissertanten, ihre Projekte abschließen können und wir die Verträge mit unseren Kooperationspartnern einhalten können. Das ist sehr gut gelungen. Zum anderen gibt es die Verantwortung gegenüber der Ruine, denn es sind einige Restaurierungsprojekte noch offen. Hier müssen wir einen Weg finden, und wir sind schon dabei, diese Ruinen so vor dem Winter zu schützen, dass sie keinen großen Schaden nehmen.

Hadrianstempel in Ephesos

APA/Ursula Quatember/ÖAI

Hadrianstempel in Ephesos

Wie könnte man den diplomatischen Schaden wieder applanieren? Würden Sie sich wünschen, dass etwa der Wissenschafts- oder Außenminister etwas dazu sagt?

Ich bin Wissenschaftler, ich werde in meinem Bereich alles tun, was ich kann. Ich bin mir aber bewusst, dass diese Entscheidung auf politischer Ebene gefallen ist, und daher auch auf politischer Ebene gelöst werden muss. Es hat sich im letzten Monat die Spirale der verbalen Auseinandersetzung so nach oben gedreht, dass es weit über das Politische hinausgegangen ist. Nur ein Beispiel, um zu erklären, warum hier die Emotionen so hochgehen. Das betrifft die Falschmeldung einer Schlagzeile: „Türkei erlaubt Sex mit Kindern“. Zur Erklärung: In der türkischen Gesellschaft haben Kinder einen extrem hohen Stellenwert. Und zwar nicht so individuell wie in unserer Gesellschaft nach dem Motto „Ich liebe mein Kind oder meine Kinder“, sondern hier ist es etwas Kollektives. Man liebt Kinder. Daher war die Fassungslosigkeit hier sehr groß, und die Frage wurde immer wieder gestellt: Wie könnt ihr so etwas über uns sagen?

Sie sagen, Sie sind kein Opfer der österreichischen Politik. Bei wem aber sehen Sie die Verantwortung für diese Zuspitzung?

Die Verantwortung liegt natürlich auf politischer Ebene. Es wurde mir in den letzten Tagen von unterschiedlichen Personen öfter versichert, dass man mit unserer wissenschaftlichen Arbeit sehr zufrieden ist. Man darf aber nie vergessen: Archäologie und Nationalismus hängen seit dem Aufkommen der Disziplin im 19. Jahrhundert sehr stark zusammen. Das hängt damit zusammen, dass Archäologie sehr oft für Legitimations- und Identitätsfragen verwendet wird. Und dadurch eignet sie sich sehr gut, dass man nationale oder internationale Konflikte auf dem Rücken der Archäologen austrägt.

Eine Verantwortung in Österreich sehen Sie nicht?

Natürlich hätte ich mir eine differenziertere Berichterstattung und Wortwahl gewünscht. Sie dürfen nicht vergessen: Wenn ich jetzt zurückkomme, komme ich aus ganz anderen Realität als die, die Sie erlebt haben.

Haben Sie Hoffnungen, dass das Projekt weitergeführt werden kann?

Natürlich, ich halte diese Hoffnungen auch für realistisch. Hier hilft der historische Blick: Wenn man bedenkt, was die Grabungen in Ephesos schon alles durchgestanden haben, unter welchen politischen Bedingungen im 20. Jahrhundert hier gearbeitet wurde, darf man die Hoffnungen nicht aufgeben. Ich werde mit den türkischen Kollegen im Gespräch bleiben und alles Erdenkliche tun, vor allem für die vielen jungen Nachwuchsarchäologen, und hoffe natürlich auf eine Zukunft.

science.ORF.at/Ö1 Wissenschaft

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