Ist mit 125 Jahren Schluss?

Seit dem 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung kontinuierlich gestiegen. Wann ist das Limit erreicht? Oder gibt es gar keine natürliche Obergrenze? Eine aktuelle Studie liefert neuen Zündstoff für diese Debatte.

US-Forscher kommen nach der Analyse von demografischen Daten aus mehr als 40 Ländern zu dem Schluss: Ja, die Lebenszeit des Menschen hat eine Obergrenze. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch jemals älter als 125 Jahre werde, sei extrem gering, schreiben sie im Fachblatt „Nature“.

Der Amerikaner James Vaupel, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, hält dagegen: Die Studie trage nichts zum wissenschaftlichen Verständnis der Lebenserwartung bei.

Lebenserwartung steigt und steigt

Der Hintergrund: Menschen, die im Jahr 1900 etwa in Frankreich geboren wurden, segneten damals im Schnitt mit 45 Jahren das Zeitliche. Im Jahr 2000 Geborene haben statistisch betrachtet 75 Jahre Lebenszeit zur Verfügung - also 30 Jahre mehr.

Den rasanten Anstieg der Lebenserwartung innerhalb eines Jahrhunderts führen Experten vor allem auf medizinischen und technologischen Fortschritt zurück. Der habe zunächst die Säuglings- und Kindersterblichkeit eingedämmt, heute vor allem die Sterblichkeit im höheren Alter.

Jeanne Calment, die bislang älteste Frau der Welt

dpa

Jeanne Calment, zwei Tage vor ihrem 122. Geburtstag

Viele Alte, aber wenige Uralte

Auch das maximale Alter zum Zeitpunkt des Todes ist in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen. Der Mensch mit dem bisher höchsten erreichten Lebensalter ist die Französin Jeanne Calment. Sie war 1997 mit 122 Jahren gestorben.

Doch wie geht es weiter? Nähern wir Menschen uns mittlerweile einem Limit der Lebenszeit, das nicht mehr überschritten werden kann? Oder können wir unter optimalen Bedingungen noch älter werden? Diese Frage ist bisher unbeantwortet.

Forscher um Jan Vijg vom Albert Einstein College of Medicine in New York haben nun Geburts- und Sterbedaten aus der Human Mortality Database zu mehr als 40 Ländern analysiert.

Sie fanden erwartungsgemäß, dass der Anteil alter Menschen (über 70 Jahre) von Jahr zu Jahr größer wird. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt: Betrachteten die Forscher die Daten sehr alter Menschen (über 100 Jahre), war das nur noch begrenzt der Fall.

125 Jahre als „endgültiges Limit“

Anschließend analysierten sie Daten aus Frankreich, Japan, Großbritannien und den USA zum maximalen Lebensalter. Das Ergebnis: Seit den 1990er Jahren wurde das maximale Lebensalter nicht weiter nach hinten verschoben. „Demografen und Biologen haben argumentiert, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass der derzeitige Anstieg der maximalen Lebenspanne demnächst endet“, erläutert Studienleiter Vijg. „Aber unsere Daten sprechen dafür, dass das bereits geschehen ist, und zwar in den 1990er Jahren“ - das bekanntgewordene Maximalalter eines Menschen liege für diese Zeit im Durchschnitt bei 115 Jahren.

Aus weiteren statistischen Berechnungen schließen die Forscher, dass ein Alter von 125 Jahren mit großer Sicherheit die absolute Obergrenze sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem gegebenen Jahr irgendeine Person auf der Welt so ein Alter überschreite, liege bei weniger als eins zu 10.000.

Kritik: „Immer der gleiche Fehler“

Der Demograf James Vaupel indes hält von dieser Argumentation wenig. Er sagt: Die Publikation basiere auf der selektiven Nutzung von Daten und ziehe einseitige Schlüsse. „Es ist entmutigend, wie oft der gleiche Fehler in der Wissenschaft gemacht und in angesehenen Fachjournalen publiziert werden kann.“ Studien wie diese würden veröffentlicht, weil es vielen Leuten plausibel erscheine, dass die maximale Lebensspanne nicht viel weiter steigen kann.

Seiner Ansicht nach gibt es keine Hinweise auf eine natürliche Obergrenze der Lebenszeit. In der Vergangenheit ausgerufene Grenzen seien wiederholt widerlegt worden. „Vor 100 Jahren nahm man an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niemals 65 Jahre überschreiten werde. Als dann der Gegenbeweis sichtbar wurde, wurde die Grenze wieder und wieder nach oben verschoben“, so Vaupel.

Kein Konsens in Sicht

Das Team um Vijg hingegen ist überzeugt: „Weitere Fortschritte bei der Bekämpfung von Infektions- und chronischen Krankheiten können die durchschnittliche Lebenserwartung weiter anheben, aber nicht die maximale Lebenserwartung.“ Die genauen biologischen Ursachen für die Begrenzung der Lebensspanne kennen die Wissenschaftler nicht. Es gebe keine Gene, die unmittelbar das Altern oder den Todeszeitpunkt festschrieben.

In einem ebenfalls in „Nature“ publizierten Kommentar zu der Studie vergleicht Jay Olshansky von der University of Illinois in Chicago die Lebensbeschränkung mit der begrenzten Laufgeschwindigkeit des Menschen. Es gebe keine genetisch festgelegte Maximalgeschwindigkeit, aber unser Körperbau, der sich evolutionär für andere Zwecke entwickelt habe, setze ihr biomechanische Grenzen.

Die Menschheit arbeite hart - und mit einigem Erfolg - daran, die Lebenszeit zu verlängern. Aber, so Olshansky, wir sollten anerkennen, dass es, im Gegensatz zur Laufgeschwindigkeit, genetische Beschränkungen gebe, die einer radikalen Lebensverlängerung im Wege stünden. Ist nun ein Ende der maximalen Lebenszeit in Sicht? Zumindest in der Diskussion darüber nicht.

science.ORF.at/dpa

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