Die „Säulen der Zerstörung“

Wenn Sterne aus interstellaren Gas- und Staubwolken entstehen, folgt darauf regelmäßig ein Akt der Vernichtung. Das zeigen Aufnahmen mit einem Teleskop in Chile - die astrophysikalische Popkultur ist um eine Wortschöpfung reicher: „Säulen der Zerstörung“.

„Singularität“ ist ein Begriff, mit dem Otto Normalleser eher wenig anzufangen weiß. Er bezeichnet den Urzustand des Universums, unendlich dicht, unendlich heiß - ein punktförmiges Etwas, aus dem einst spontan Raum, Zeit und Materie entstanden sind. Zumindest, wenn es nach der Vorstellung der Urknalltheoretiker geht. Der britische Astronom Fred Hoyle hielt davon wenig, machte sich über die christlichen Konnotationen des Konzepts lustig - und bescherte seinem Metier damit ungewollt einen überaus mächtigen Begriff.

Die Geschichte des Universums mit einem „Big Bang“ beginnen zu lassen, sagte Hoyle 1950 in einer Sendung der BBC, sei im Grunde ein astronomisch verbrämter Ruf nach dem Schöpfer.

Die Ikone: „Säulen der Schöpfung“

Hoyles Kritik geriet in der Zwischenzeit in Vergessenheit, seine ironische Bemerkung indes hat sich im Sprachgebrauch - abzüglich der Ironie - längst verfestigt. „Big Bang“ war eben sexier als „instabile Singularität“. Wenig Freude hätte Hoyle wohl auch mit einem Fundstück der Astronomie gehabt, das seit den 90er Jahren in den Rang einer Ikone aufgestiegen ist.

Im 7.000 Lichtjahre entfernten Adlernebel fanden Forscher damals Gas- und Staubwolken, die ihrer beeindruckenden Säulenform wegen den Namen „Pillars of Creation“, zu Deutsch: „Säulen der Schöpfung“ erhielten. „Schöpfung“ diesmal im nicht ganz so großen Sinne, die Formation ist bzw. war ein Ort, an dem sich Staub zu Sternen verdichtete.

Nun haben Astronomen mit Hilfe des Very Large Telescope in Chile erneut säulenförmige Strukturen entdeckt, diesmal im Carinanebel auf dem Südsternhimmel. Auch hier sind aus dem kosmischen Rohmaterial im großen Stil Sterne entstanden.

Zwei säulenförmige Gaswolken im Carinanabel

ESO/A. McLeod

Neue Säulen im Carinanebel

Dieser Vorgang hat allerdings auch eine destruktive Seite. Wie die Forscher in den „Monthly Notices of the Royal Astronomical Society“ schreiben, senden schwere Sterne energiereiche Strahlung aus, die die sie umgebenden Gaswolken gleichsam auflösen. Die Strahlung entreißt den Atomen ihre Elektronen, befördert die verbliebenen Atomrümpfe aus der Wolke, zurück bleiben Strahlung und der leere Raum.

Wolken lösen sich auf

„Photoevaporation“ heißt dieser Akt der Vernichtung, und weil dieser Begriff für die mediale Rezeption eher unverdaulich ist, hat die PR-Abteilung der Europäischen Südsternwarte (ESO) eine neue Wortkreation auf den Markt geworfen. Die Strukturen im Carinanabel tragen nun den Namen „Pillars of Destruction“, „Säulen der Zerstörung“.

„Den Begriff haben wir in unserem Forschungspapier niemals verwendet“, sagt Anna Faye McLeod von der ESO in Garching bei München. „Aber er beschreibt ganz gut, was in den Gaswolken vor sich geht.“

Laut McLeod würden die astronomischen Computermodelle allesamt die falschen Ergebnisse ausspucken, wenn Sterne keine zerstörerische Wirkung auf ihre nähere Umgebung hätten und dort nicht tabula rasa machen würden - wie zu beweisen war. Gleichwohl trifft diese Diagnose für sämtliche von Sternen bevölkerten Regionen zu: Die „Säulen der Zerstörung“ im Carinanabel (Video) sind nicht destruktiver als andere Formationen in und außerhalb der Galaxis.

Das gilt nicht zuletzt auch für die „Säulen der Schöpfung“. Nach Ansicht des französischen Astronomen Nicolas Flagey ereignete sich dort vor 6.000 Jahren eine Supernova. Sollte das zutreffen, dann hat die Schockwelle die imposanten Gaswolken längst vernichtet. Die gute Nachricht: Der Astronomie wird ihre Ikone erst in 1.000 Jahren abhanden kommen. So lange dauert es nämlich noch, bis das Licht der Supernova die Erde erreicht hat.

Robert Czepel, science.ORF.at

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