Schwindendes Eis lässt Alpen wachsen

Die Alpen heben sich pro Jahr um ein, zwei Millimeter, in Österreich zum Teil mehr als anderswo: Das liegt an den Gletschern, die seit Ende der letzten Eiszeit abgeschmolzen sind. Die Reaktion der Erdkruste dauert bis heute, wie eine neue Studie zeigt.

Für Regionen wie Nordamerika und Skandinavien ist schon lange bekannt, dass Hebungen der Erdkruste fast ausschließlich darauf zurückzuführen sind, dass sie von den Eismassen nach Ende des glazialen Maximums (LGM) vor etwa 18.000 Jahren zunehmend entlastet wurde.

Weniger Eis als in Skandinavien und Nordamerika

Zur Zeit des LGM waren auch die Alpen von Eis bedeckt. Das Ausmaß der Vereisung des Gebirgszugs war aber viel geringer als in Nordamerika und Skandinavien. Deshalb ging man bisher davon aus, dass das Abschmelzen der Gletscher keine große Bedeutung für die aktuelle Anhebung der Alpen hat.

Studie

”Glacial isostatic uplift of the European Alps“, Nature Communications, 10.11.16

Vielmehr dachte man, dass die Hebung hauptsächlich durch Erosion und den Abtrag von Sedimenten aus dem Gebirge heraus hervorgerufen wird. Ein internationales Forscherteam zeigte nun aber, dass das Verschwinden des Eises nach Ende des LGM für etwa 90 Prozent der heutigen Hebung verantwortlich ist.

Drei Elemente: Sedimente, Eis, Tektonik

In jungen Gebirgen wie den Alpen sind komplexe, sich gegenseitig beeinflussende Mechanismen am Werk: Die Afrikanische schiebt sich unter die Eurasische Platte und die Adriatische Platte (eine Teilplatte der Afrikanischen Platte) schiebt sich gegen den Uhrzeigersinn drehend unter die Eurasische Platte.

In ihrer Arbeit haben die Wissenschaftler nun den Anteil von Sedimentabtrag, Eislast und lokaler Tektonik an der Hebung der Alpen verglichen. Sie verwendeten dazu Computermodelle und Daten aus Bohrungen. Sie gehen davon aus, dass sich ein Großteil des nach Ende der Hauptvereisungsphase erodierten Materials innerhalb des Gebirges abgelagert hat.

3D-Eismodellierung der Alpen zur Zeit des Letzten Glazialen Maximums

Jürgen Mey, Universität Potsdam,

3-D-Eismodellierung der Alpen zur Zeit des Letzten Glazialen Maximums

Damit kann dieser Prozess nicht die Hauptursache für die Hebung der Alpen sein, nur rund zehn Prozent der Hebung können auf die Entlastung durch sedimentären Abtrag zurückgeführt werden.

Die Modellierungen zeigen vielmehr, dass sich die Hebung, ähnlich wie in Skandinavien und Nordamerika, am besten mit einer entlastenden Ausgleichsbewegung nach Abschmelzen der Gletscher erklären lässt. Demnach lasteten auf den Alpen während des LGM 62.000 Gigatonnen Eis. Der Sedimentabtrag nach Ende der Vergletscherung machte aber nur gut 4.000 Gigatonnen aus.

Österreich im Zentrum

Mit 1,5 bis 2,3 Millimeter pro Jahr ist die Hebung am östlichen bzw. westlichen Rand des Tauernfensters in den österreichischen Zentralalpen vergleichsweise hoch, erklärte Studienautor Jürgen Mey von der Uni Potsdam. Dies liege daran, dass diese Region, die sich über die Bundesländer Tirol, Salzburg und Kärnten erstreckt, nahe dem Zentrum der stärksten Vereisung während des LGM gelegen ist.

Vor allem in Teilen Österreichs kommt zu der entlastenden Ausgleichsbewegung der eisbefreiten Alpen noch ein tektonischer Effekt hinzu. Verursacht wird dieser durch die Drehbewegung der Adriatischen Teilplatte. Diese Bewegung führt dazu, dass Teile der Ostalpen Richtung Osten verschoben werden, sagte Mey.

science.ORF.at/APA

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