Klimaschutz und Freihandel

Was ist wichtiger: Freihandel oder Klimaschutz? Behindert das eine das andere? Nicht notwendigerweise, meint jemand, der es wissen sollte: Karl Falkenberg, Topbeamter der EU, der schon für beide Bereiche zuständig war.

Karl Falkenberg ist aktuell EU-Sonderbeauftragter für nachhaltige Entwicklung, war sechs Jahre lang EU-Generaldirektor für Umwelt und hatte zuvor mehrere Jahre die EU-Verhandlungen von mehreren bilateralen Freihandelsabkommen koordiniert. Ein Gespräch über unwahrscheinliche Klimaweltgerichte, Donald Trump – der das Kunststück schafft, sowohl gegen Freihandel als auch Klimaschutz zu sein – und Optimismus. Trotz allem.

science.ORF.at: Herr Falkenberg, wie lassen sich Freihandelsabkommen und Umweltschutz vereinen?

Karl Falkenberg: Wenn man es intelligent macht: durchaus vernünftig. Aber wenn man sich nicht auf die Gegenwirkungen einstellt, dann kann es problematisch werden. Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, dass Länder das herstellen, was sie unter geografischen, klimatischen und anderen Bedingungen gut herstellen können, und dass man diese Güter auch tauschen kann. Man darf aber die nationalen Umweltstandards und Sozialnormen in Freihandels-Verhandlungen nicht beiseiteschieben.

Welchen Stellenwert hat der Umweltschutz bei solchen Verhandlungen, etwa TTIP?

Bei TTIP gibt es ein Kapitel, in dem davon gesprochen wird, dass die Umweltnormen und -standards sowohl in Europa als auch in Amerika durch das Abkommen nicht untergraben werden sollen.

Was bedeutet das in der Praxis?

Veranstaltungshinweis

Karl Falkenberg hält am Donnerstag, den 17.11.2016 um 18:30 Uhr im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“ in Wien einen Vortrag. Thema: „Fortschritt! Fortschritt? Für einen zukunftsfähigen Umgang mit Technik“. Veranstalter der Vortragsreihe ist das Umweltbundesamt.

Erstmal müsste ein Abkommen fertig ausgehandelt werden - und im Moment steht es ja nicht wirklich gut darum. Aber rein hypothetisch: Wenn es zu einem solchen Abkommen kommen sollte, dann würde drinstehen, dass man die europäischen Umweltnormen, die Vorschriften zu Emissionen von Autos, Qualität von Nahrungsmitteln, Bedingungen der Tierhaltung etc. nicht unterbieten darf, sondern respektieren muss. Das gleiche gilt für Normen, die in Amerika gelten. Europäische Produkte müssten US-Normen und -Standards ebenso anerkennen.

Würde das dann nicht heißen, dass Europa Produkte für die USA „schmutziger“ herstellen könnte, weil sie „eh in die USA“ gehen?

Das wäre selbst bei einem großen Markt wenig sinnvoll. Die Unternehmen bauen ja Produktionslinien auf, und der Hauptmarkt für europäische Unternehmen ist auf jeden Fall der europäische Markt. Wenn man nun neben der Produktionsstraße für Europa eine zweite für den US-Markt aufbauen würde, um die Waren weniger umweltschützend herzustellen, dann gäbe es zwei Folgen. Erstens kostet das eine ganze Menge Geld und ist daher schon nicht interessant. Zweitens besteht die Gefahr, dass die neue Produktionsstraße in absehbarer Zukunft wieder eingestellt werden muss, weil in den USA etwa die Konsumenten oder die Regierung reagieren und neue Standards verlangt werden.

Portätfoto von Karl Falkenberg

EU

Karl Falkenberg

Alleine schon deshalb wäre es vermutlich sinnvoll, Freihandelsverträge und etwa Klimaverträge gemeinsam zu verhandeln. Das Pariser Klimaabkommen ist zwar in Kraft getreten, aber es sieht keine Sanktionsmöglichkeiten vor. Müsste es nicht ein übergeordnetes Recht geben samt „UNO-Weltgerichtshof“ oder ähnliches?

Darüber ist viel nachgedacht worden und man macht kleine Schritte in die richtige Richtung. In der Zeit, als ich noch für Handel zuständig war und wir mit der Welthandelsorganisation (WTO) multilaterale Handelssysteme aufgebaut haben, haben uns viele andere Sektoren in der Politik beneidet: Wir hatten die Möglichkeit, von uns aufgesetzte Standards über rechtliche Verfahren umzusetzen. Ein solcher Wunsch - Verstöße als ‚ultima ratio’ auch mit Sanktionen bestrafen zu können - besteht natürlich auch für Umwelt- Klima- und soziale Ziele.

Ein solches übergeordnetes System kann aber nur funktionieren, wenn es die Mitglieder mittragen. Ich habe gesehen, dass die WTO nach 2000 in dem Augenblick ins Stottern gekommen ist, als man versucht hat, zu ambitionierte Liberalisierungsvorschläge einzubringen. Einzelne Länder waren nicht mehr bereit mitzuziehen. Man wird den Ländern nichts aufs Auge drücken können, was sie nicht mittragen wollen. Insofern sehe ich eine solche übergeordnete Gerichtsbarkeit im Augenblick nicht auf der Tagesordnung.

Was ich eher sehe, ist, dass man in bilateralen Verhandlungen zwischen Europa und Mexiko, Asien oder Kanada eine Vergleichbarkeit und Durchsetzbarkeit von verschiedenen Politikansätzen innerhalb eines Abkommens zu stärken versucht.

Donald Trump hält die Klimaerwärmung für eine Erfindung und wird aus dem Pariser Vertrag vermutlich aussteigen …

Das ist nicht auszuschließen. Das Pariser Abkommen hat keine Gerichtsbarkeit, und es ist wie in allen Umweltfragen schwierig, sich solche Dinge vorzustellen. Bei Verhandlungen zum Freihandel gibt es die Möglichkeit, ein Land, das die Spielregeln nicht einhält, von den Vorteilen des Abkommens auszuschließen. Das funktioniert im Umweltbereich nicht. Wenn sich 99 Länder sauber entwickeln und das 100. nicht, dann kann ich es nicht damit bestrafen, dass es nicht von den besseren Umweltbedingungen profitiert. Diese entstehen eben durch die Arbeit derjenigen, die sich vernünftig benehmen. Da gibt es eben ein großes “Trittbrettfahrerproblem“ und darüber werden wir uns in der Zukunft auch weiter Gedanken machen müssen.

Wenn Trump und mit ihm Amerika hier einen echten Rückzieher machen, würde es mit Sicherheit negative Auswirkungen haben. Aber es würde auch nicht das Ende der Anstrengungen bedeuten, sondern dann kommt es darauf an, ob die anderen Länder weiter daran arbeiten.

Glauben Sie überhaupt noch daran, dass wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen können? Vor allem wenn Leute wie Trump an der Spitze der USA sind?

Es ist problematisch, wenn Staatschefs heute immer noch die wissenschaftlichen Ergebnisse zur Klimaerwärmung anzweifeln, keine Frage. Aber ich bin überzeugt davon, dass Klimaschutz nicht ausschließlich von Einzelpersonen - seien sie auch noch so mächtig - bestimmt wird. Auch ein Donald Trump wird nicht ganz Amerika auf einen Nenner bringen können.

Die US-Wirtschaft und die einzelnen Bundesstaaten sind vielfach recht fortschrittlich, wenn es darum geht, weniger Emissionen in die Atmosphäre auszustoßen. Auch wenn sich Trump vom Pariser Abkommen zurückziehen will, bin ich sicher, dass viele US-Städte weiter versuchen werden, ihr Umwelt-und Klimaschäden einzugrenzen.

Denn der Druck des Klimawandels wird überall stärker: Meeresspiegel steigen, hier fehlt Regen, dort gibt es Überschwemmungen. Die Frage ist: Reagieren wir rechtzeitig, bevor bevor die Schäden unumkehrbar wind? Ich bin da weiter optimistisch.

Woher kommt Ihr Optimismus?

Er bezieht sich vor allem auf Europa: Europa ist in vielen dieser Fragen führend. Ich bin auch überzeugt davon, dass man die Europäer auch wieder mehr für Europa interessieren kann, indem man deutlich macht, dass der Kontinent für eine nachhaltige Entwicklung steht, dass man aber auch Umweltprobleme und soziale Ungerechtigkeiten wieder höher auf die Prioritätenliste setzt.

Wie glauben Sie, motiviert man die Europäer, an diese Ziele zu glauben?

Ich spüre, dass wir in Europa eine neue gemeinsame Zielrichtung brauchen, an die die Menschen glauben und an der sie mitarbeiten wollen. Man hat es in England mit dem Brexit-Votum gesehen, auch bei der Wahl in Amerika, und wird es auch bei den kommenden Wahlen in Österreich, Frankreich und Deutschland sehen: Ein wachsender Teil der Bevölkerung ist mit der aktuellen Politik nicht einverstanden und fühlt sich marginalisiert. Ich denke, die Politik wäre gut beraten, Nachhaltigkeit mehr in den Blickpunkt zu bringen, anstatt nur in den klassischen Bruttosozialprodukt-Kategorien zu argumentieren. Ich glaube, dass Nachhaltigkeit und das Betonen von sozialer Inklusion, von Umweltverträglichkeit und von solidem Wirtschaftswachstum Themen sind, für die Europa stehen kann.

Sind Nachhaltigkeit und „solides Wirtschaftswachstum“ überhaupt vereinbar? Es gibt Kritiker, die das bezweifeln …

Ich glaube, das ist durchaus vereinbar. Wir sehen im Moment viele verschiedene Ansätze. Einer ist: dass man Produkte nicht mehr kauft, sondern mietet, wenn man sie braucht, etwa Cars-to-go. Bisher haben wir alle darauf bestanden, dass wir ein eigenes Auto besitzen, das aber die meiste Zeit einfach nur irgendwo alleine rumsteht und traurig auf uns wartet. Wenn man Autos teilt, dann sind wir alle gleich mobil, aber wir machen das mit weniger Ressourcen, weil wir dazu weniger Fahrzeuge brauchen. In der jetzt heranwachsenden Generation sehe ich bereits große Veränderungen.

In punkto Nachhaltigkeit ist das gut, aber für das Wirtschaftswachstum weniger, wenn die Leute weniger Autos kaufen …

Es geht weniger um Kaufen, sondern um Mieten. Denn auch das stellt Arbeitsplätze her. Ich glaube nicht, dass eine robotisierte Fahrzeugherstellung längerfristig mehr Arbeitsplätze sichert als ein vernünftiges Management von Mietwagen, Carsharing usw.

Trotz steigender Zahlen bei Carsharing und Co. ist 2015 in Österreich der CO2-Ausstoß gestiegen. Wo reihen Sie Österreich auf der Nachhaltigkeitsskala ein? Wo ist es ein Vorreiter, wo sollte es ansetzen?

Österreich hat in vielen Bereichen durchaus positive Dinge erreicht. Recycling, Kreislaufwirtschaft ist einer der Bereiche, der in Österreich sehr gut funktioniert. Es gibt aber Probleme in der Umstellung der Energiewirtschaft, mit dem Transportsektor - wie bei allen Ländern - und auch mit Naturschutz und Erhalt der Biodiversität. Aber wenn ich mir die 28 Mitgliedsländer der EU ansehe, würde ich Österreich insgesamt gesehen doch im oberen Drittel ansiedeln.

Alexa Lutteri, für science.ORF.at

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