Placebo hilft gegen krankhaften Ekel

Zwei bis drei Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an Zwangsstörungen. Eine Grazer Psychologin weist nach: Sie werden oft von Ekelgefühlen ausgelöst - und lassen sich durch Scheinmedikamente erstaunlich gut lindern.

Wen schon Gedanken an unsaubere Toiletten oder Spinnen schwer belasten, gilt meist als Betroffener einer Phobie oder Angststörung. Die Psychologin Anne Schienle von der Universität Graz hat von ihren Patienten aber viel von einem anderen Gefühl als Angst gehört: nämlich Ekel.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“, 11.4.2017, 13:55 Uhr.

Patienten mit Waschzwang würden erst einmal angewidert reagieren, wenn sie eine potenziell kontaminierte Türschnalle sehen – obwohl es da auch die Befürchtung gibt, dass Krankheitskeime auf sie „überspringen“ könnten, die sie dann an den Händen hätten und sie nie wieder losbekommen könnten. Das Händewaschen und Desinfizieren will nicht primär Angst loswerden, erklärt Schienle: „Eigentlich wissen die Patienten nicht, wie sie mit dem Ekel umgehen sollen. Sie waschen zwar, aber ganz schnell danach ist der Ekel wieder da.“

Ekel ist messbar

Wie stark der Ekel ist, lässt sich mit Hilfe Gehirnscans und EEGs feststellen. Bei Betroffenen solcher Phobien werden die entsprechenden Hirnareale tatsächlich stärker aktiviert. Auch ihre Aufmerksamkeit, etwa im visuellen Cortex, ist merkbar erhöht, der auslösende Reiz ist ihnen sozusagen präsenter. In der Mimik lässt sich Ekel ebenso messen: Ekel als Grundemotion ruft einen bestimmten Gesichtsausdruck hervor, selbst die kleinste Aktivierung der Gesichtsmuskeln gibt Hinweise darauf.

Wie sehr eine Spinne einen Spinnenphobiker anekelt und stresst, kann sich jemand, der nicht unter dieser Phobie leidet, kaum vorstellen - selbst wenn man den Ekel an sich nachvollziehen kann.

Die derzeit effektivsten Therapien setzen vor allem darauf, sich dem unangenehmen Reiz zu stellen, und zu lernen die Gefühle zu kontrollieren. Je ausgeprägter das Ekelgefühl, desto höher ist natürlich die Hemmschwelle. Schienle begann also daran zu forschen, ob man nicht das übersteigerte Ekelgefühl etwas mindern könnte.

„Nichts“ hilft auch

Schienle machte Tests mit Placebos, also Mittel ohne Wirkstoff, von denen die Patienten nur glauben, dass sie helfen. Das stellte sich als erstaunlich wirkungsvoll heraus, selbst Schienle und ihr Team waren davon überrascht: „Der Placeboeffekt war sogar stärker als wir erwartet hatten, das hat man in der Wissenschaft nicht so oft!“

Die Versuchspersonen selbst empfanden nach Eigeneinschätzung gar nur halb so viel Ekel wie die Gruppe ohne die vermeintlichen Naturheilmittel. Auch die Gehirnmessungen zeigten einen deutlichen, wenn auch nicht ganz so starken Effekt.

Es gebe mittlerweile längst eigene Studien, die sich der möglichst effizienten Anwendung von Placebos widmen, sagt Schienle. Einige Resultate: Seriöse Etiketten sind namenlosen Päckchen überlegen, Spritzen wirken stärker als Tabletten, und eine beratende Ärztin im weißen Mantel ist wiederum besser als ein legerer wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Selbstheilung wirksamer als gedacht

Placebos sind überhaupt wirkungsvoller als man meinen möchte, und zwar unabhängig davon, wer der Patient ist. Es scheine nur einen Faktor zu geben, der wirklich vorhersagen kann, wie gut ein Placebo funktionieren wird, erklärt Schienle: „Wie überzeugt bin ich? Habe ich in dem Moment den Eindruck, dass mir da geholfen wird?“ Studien würden zeigen, dass ein Placebo selbst dann noch ein wenig wirkt, wenn man Leute bereits darüber aufgeklärt hat, dass es sich um kein „echtes“ Medikament handelt.

Denn natürlich müsse man Patienten irgendwann darüber aufklären, dass nur ein Placebo verabreicht wurde, nicht zuletzt aus berufsethischen Gründen. Trotzdem glaubt Schienle, dass man diese Erkenntnisse zum Ekel begleitend zu einer Therapie sinnvoll einsetzen kann. Man könne Menschen so zum Beispiel klarmachen, wie effektiv ihre Selbstheilungskräfte sind, wie sehr sie selbst von sich aus etwas verändern können. Nun forscht Schienle in einer Folgestudie mit Spinnenphobikern daran, wie lange so ein Placebo wirksam bleibt.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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