Wie Smartphones das Gehirn von Kindern verändern

Immer mehr Kleinkinder, teilweise sogar Babys, spielen statt mit Puppen und Autos mit Smartphone und Tablet. Experten warnen bei einem Kongress in Wien: Digitale Medien verändern das Gehirn von Kindern - vor allem das Belohnungssystem.

Zuerst war das Wiegenlied, dann gab es die Spieluhr zum Aufziehen, die mit Musik das Baby aufs Schlafengehen vorbereiten sollte. Auch heute ertönen in vielen Kinderzimmern noch sanfte Töne, allerdings kommen sie heute immer häufiger aus Smartphone oder Tablet. Und sie sind in eine App eingebunden, mit der schon ganz kleine Kinder beispielsweise Tiere zu Bett bringen können.

„Es gibt keinerlei Nachweis für irgendeinen positiven Effekt von Bildschirmmediennutzung von Kindern unter 18 Monaten. Babys brauchen sie absolut nicht“, sagt dazu die deutsche Medienpädagogin Paula Bleckmann. Vielmehr meinen die Erwachsenen, ohne Smartphone und Tablet nicht auszukommen.

Anders als Fernsehen

Dass diese Medien ständig vorhanden sind, beeinflusst mittlerweile massiv das Familienleben. Der ständige Blick auf das Smartphone, das Checken der jüngsten Nachrichten lenkt die Eltern ab. Um 20 Prozent weniger direkte und um 40 Prozent weniger indirekte Kommunikation findet in solchen Familien statt, zeigen laut Bleckmann Studien aus den USA.

Ö1 Sendungshinweis

Über das Thema berichtete auch das Mittagsjournal am 20.2.2017.

Aber was ist der Unterschied zwischen Smartphone und gutem alten Fernseher, früher in vielen Familien für die Unterhaltung der Kinder zuständig? „Die Korruption des Belohnungssystems. Irgendwie mal wischen, mal klicken, und schon macht es wieder ‚bing‘, du bist ein Level aufgestiegen, du hast 50 Goldmünzen gewonnen - diese ganz schnelle Belohnung, das hat es beim Fernseher nicht gegeben“, so Bleckmann. Kinder verlernen, dass sie auch einmal warten müssen, werden ungeduldiger, verlieren schnell das Interesse, wenn die erwartete Reaktion nicht sofort eintritt.

Noch keine Langzeitstudien

Das iPhone ist gerade einmal zehn Jahre alt, Langzeitstudien, wie sich die zunehmende Digitalisierung der Kindheit auswirkt, fehlen deshalb noch. „Was wir haben, sind Puzzleteile aus Einzeluntersuchungen“, sagt der Neurowissenschafter Christian Montag von der Universität Ulm. Ein solcher Puzzleteil sind Studien an Jugendlichen, die - laut Eigenberichten - schon als Kinder viel mit digitalen Medien zu tun hatten. Zwei Bereiche waren bei ihnen überdurchschnittlich häufig verändert: die Aufmerksamkeit und die Empathie. Aufmerksamkeitsstörungen wie ADS treten vermehrt auf und die Empathie ist eingeschränkt.

Kongress in Wien:

Paula Bleckmann und Christian Montag waren bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit in Wien.

„Es wird nicht mehr jeden Tag das Lesen der Emotionen im Gegenüber trainiert, es wird weniger geübt, die Stimmlage einer Person zu verorten. Das könnte zu sozial inkompetenteren Kindern führen“, zeigt sich Christian Montag betont vorsichtig - und er hebt hervor, dass die Zeit ein wichtiger Faktor sei, also wie lange sich Kinder und Erwachsene mit Smartphone und Co beschäftigen anstatt miteinander. „Aber, man sollte das alles nicht einfach so abtun nach dem Motto: Alles komplett harmlos. Logische Rechnung: Mehr Screentime heißt weniger Zeit für das Kind.“

Smartphone-freie Zeiten festlegen

Dass „Offline-Kinder“ später in der Schule nicht mithalten können, weil sie keine Vorschul-Apps durchgespielt haben, diese Befürchtung ist laut Experten unberechtigt: „Auch wenn ein Kind überhaupt keinen Bildschirmkonsum vor der Einschulung hatte, wird es eher besser in der Schule sein“, so Paula Bleckmann.

Deshalb der Rat: von Kleinkinderapps generell die Finger lassen und Smartphone-freie Zeiten festlegen, etwa durch Zeitsperren auch auf den Handys der Erwachsenen. Aber auch die Arbeitgeber müssten Verantwortung übernehmen. Sie könnten dafür sorgen, dass am Abend keine beruflichen Nachrichten mehr weitergeleitet werden.

Elke Ziegler, science.ORF.at

Mehr zum Thema: