Erster Atemzug: Startschuss für Immunsystem

Der erste Atemzug eines Neugeborenen ist nicht nur für die Eltern ein ganz besonderer Moment. Wie eine neue Studie zeigt, löst er in der Lunge eine Reihe von Reaktionen aus, die den Körper für sein ganzes Leben prägen.

Bis zur Geburt hat die Lunge eines Babys keine Funktion. Sie ist mit Flüssigkeit gefüllt, der Sauerstoff kommt über Plazenta und Nabelschnur von der Mutter. Erst mit den ersten Wehen fällt für die Lunge der Startschuss: Die Flüssigkeit wird herausgepresst, die Lunge wird gedehnt und nach der Geburt strömt zum ersten Mal Luft ein.

„Das ist, als ob man ertrinken und plötzlich nach Luft schnappen würde“, beschreibt Sylvia Knapp vom Zentrum für Molekulare Medizin (CEMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Interview mit science.ORF.at.

Kettenreaktion nach Maß

Durch dieses Luftschnappen kommen zum ersten Mal Fremdkörper in die Lunge, und dagegen muss sich das frisch entfaltete Organ so schnell wie möglich schützen. Deshalb beginnt eine molekularbiologische Kaskade, die die Forscherinnen und Forscher unter der Leitung von Sylvia Knapp nun entschlüsseln konnten: Das Signalmolekül Interleukin (IL)-33 aktiviert spezielle weiße Blutkörperchen, die in die Lunge wandern. Dort schütten sie ein weiteres Signalmolekül (IL-13) aus, das die wichtigsten Immunzellen in den Atemwegen, die Alveolarmakrophagen, auf die Krankheitsabwehr vorbereiten. Diese Ergebnisse wurden in „Cell Reports“ veröffentlicht.

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Über den ersten Atemzug berichtet auch das Abendjournal am 21.2.2017.

Diese Kaskade an Signalen und Zellen ist genau getaktet, denn das Ziel des Prozesses ist zweierlei, wie Sylvia Knapp beschreibt: „Das Einwandern von Immunzellen ist ganz wichtig, damit das Lungenimmunsystem reift und gegen Bakterien gefeit ist. Gleichzeitig darf das Immunsystem aber nicht überreagieren, es muss relativ sanft sein.“ Denn nicht jeder kleine Fremdkörper darf zu einer heftigen Immunreaktion der Lunge führen, ansonsten könnte der Gasaustausch beeinträchtigt werden.

Heikler Sprung ins Leben

Dieses heikle Gleichgewicht wird mit dem ersten Atemzug angelegt und dann weiter ausgebaut: „Die Lunge ist nicht ganz fertig, wenn man auf die Welt kommt. Die kleinen Luftbläschen sind bei der Geburt noch ein bisschen unreif. Erst drei bis vier Tage nach der Geburt kommt es zur endgültigen Reifung.“ Dass die Lunge ohne Störung reift, ist wichtig für das gesamte restliche Leben. Fehlt in den Stunden nach der Geburt ein Signalmolekül, kann sich das Immunsystem nicht ordnungsgemäß entwickeln, auch das hat das CEMM-Team an Mäusen beobachtet.

Kein anderes Organ verändert sich durch die Geburt so stark wie die Lunge. Der erste Atemzug ist deshalb - auch nüchtern-medizinisch betrachtet - der Sprung ins Leben.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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