Geflüchtet, heimgekehrt, erschüttert

Keine andere Zeitung in Österreich war nach 1945 so antifaschistisch wie die „Volksstimme“. Ihre Redakteure waren oft Nazi-Vertriebene und überzeugte Kommunisten, deren Glaube erst 1956 erschüttert werden sollte. Ein Gastbeitrag der Medienwissenschaftlerin Maria Fanta.

Die kommunistische Parteipresse war – in manchen Ländern mehr, in anderen Ländern weniger – ein Werkzeug der Massenpropaganda und die Ausübung des Journalistenberufes eine politische Tätigkeit. Wladimir Iljitsch Lenin definierte die Presse in seiner 1902 entstandenen Schrift „Was tun?“ als wesentliches Teilstück eines politischen Bauplanes. Die Zeitung sei „nicht nur kollektiver Propagandist und ein kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator “.

Porträtfoto der Medienwissenschaftlerin Maria Fanta

Maria Fanta

Über die Autorin:

Maria Bianca Fanta ist Journalistin und Medienwissenschaftlerin. Sie hat Journalismus und Unternehmenskommunikation sowie Mitteleuropäische Geschichte in Graz, Paris und Budapest studiert. Vor Kurzem erschien ihr Buch „Arbeiter der Feder. Die Journalistinnen und Journalisten des KPÖ-Zentralorgans Österreichische Volksstimme 1945 - 1956“.

Auch für die KPÖ war das im August 1945 gegründete Zentralorgan „Österreichische Volksstimme“ ein wichtiger Baustein innerhalb eines politischen Planes: Man wollte nicht nur eine Agitationszeitung schaffen, sondern die „Stimme des Volkes“ werden.

Neuordnung des Pressemarkts

Aufgrund der Instrumentalisierung der Medien unter dem Nationalsozialismus wurde im Jahr 1945 der Pressemarkt Österreichs von den Alliierten neu geordnet. Gerade in einer Zeit, in der die Menschen nach Zeitungen und Nachrichten verlangten, wollten sie die Weichen für einen Journalismus stellen, dem jegliches nationalsozialistisches Gedankengut fernlag.

Doch in den meisten Zeitungsredaktionen Österreichs saßen nach Ende des Zweiten Weltkrieges jene Journalistinnen und Journalisten, die politisch wendig waren oder die zwischen 1938 und 1945 die Plätze jener Redakteurinnen und Redakteure übernommen hatten, die gekündigt und vertrieben worden waren.

Höchste Heimkehrerquote bei Kommunisten

Viele Journalisten, die flüchten konnten, kehrten nach 1945 nicht mehr aus dem Exil nach Österreich zurück oder hatten die NS-Herrschaft nicht überlebt. In den Zeitungsredaktionen der österreichischen Tagespresse bildeten jene, die nach dem Krieg aus dem Exil heimgekehrt waren, eine kleine Gruppe von nur 5,5 Prozent. Allerdings war die Heimkehrerquote bei den kommunistischen Journalistinnen und Journalisten am höchsten.

Knapp zwei Drittel der Redaktionsmitglieder der „Österreichischen Volksstimme“ waren ab 1934 ins Ausland geflüchtet, vor allem in England und der Sowjetunion fanden sie Zuflucht. Nach Ende des Krieges versuchten sie so schnell wie möglich nach Österreich zurückzukehren, um beim Aufbau ihrer (journalistischen) Heimat aktiv mitzuwirken.

Im Gegensatz zu anderen Tageszeitungen war es außerdem auch Frauen möglich, leitende Positionen in der KPÖ-Presse zu übernehmen – zu einer Zeit, als der österreichische Journalismus eine Männerdomäne war.

Faksimile der ersten Ausgaben der "Österreichischen Volksstimme" vom August 1945

ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Titelseite der ersten Ausgabe vom 5. August 1945

Skizzen kommunistischer Lebensgeschichten

Das „Redaktionskollektiv“ der „Österreichischen Volksstimme“ war eindeutig antinationalsozialistisch eingestellt, und die Mehrheit der Personen hat sich unter Einsatz des eigenen Lebens gegen die Politik des Nationalsozialismus gestellt: durch Widerstandstätigkeiten im In- und Ausland, durch politische Aktivitäten im Exil, durch Einsatz in den alliierten Streitkräften oder durch Widerstandstätigkeiten innerhalb der Wehrmacht. In einem Wettlauf um das eigene Leben waren viele kommunistische Redakteurinnen und Redakteure aus rassistischen und/oder politischen Gründen geflüchtet und hatten sich in vielen Fällen bereits im Ausland, im Umfeld der Exilorganisationen, journalistisch einen Ruf aufgebaut.

Wie beispielsweise der stellvertretende Chefredakteur der „Österreichischen Volksstimme“ Jenö Kostmann, der 1906 in Wien geboren wurde. Er hatte das journalistische Handwerk, wie auch der Chefredakteur Erwin Zucker-Schilling, in der Redaktion der kämpferischen „Roten Fahne“, dem KPÖ-Parteiblatt der Ersten Republik, erlernt. Kostmann, bis Juli 1935 im Anhaltelager Wöllersdorf inhaftiert, wurde nach seiner Freilassung von der Partei nach Prag geschickt, wo zu dieser Zeit die „Rote Fahne“ illegal hergestellt wurde. Von 1938 bis 1945 lebte er in London, wo er als leitender Redakteur des „Zeitspiegels“ tätig war. Im November 1945 durfte er als „Counterpart“ des Chefredakteurs der „Arbeiter-Zeitung“ Oscar Pollack nach Wien zurückkehren.

Ort für Künstler und Autoren

Viele Künstler und Autoren fanden im Kulturressort der „Österreichischen Volksstimme“ eine Anstellung, und das bedeutete für sie eine finanzielle Absicherung, um weiterhin als Kunstschaffende tätig zu sein. So auch Leo Katz, der als polyglotter Journalist und Schriftsteller im Laufe seines Lebens Artikel in deutscher, jiddischer, englischer und spanischer Sprache veröffentlichte und es stets verstand, in seinem Schreiben Judentum und Kommunismus zu verbinden.

Er wurde im Jahr 1892 in Sereth, einer Kleinstadt der Bukowina, als Sohn einer orthodox-jüdischen Familie geboren. Nach einem Studium in Wien und Aufenthalten in New York, Berlin und Paris erzwang der Druck der Behörden eine weitere Flucht: Mexiko-Stadt wurde für die nächsten neun Jahre zum neuen Exil. 1949 kehrte Katz nach Wien zurück und wurde sofort Mitarbeiter der „Österreichischen Volksstimme“ – eine Tätigkeit, die ihm genug Zeit ließ, schriftstellerisch zu arbeiten. Auch Friedrich Wildgans, Edmund Theodor Kauer, Axl Leskoschek und Susanne Wantoch konnten durch ihr Einkommen als „Volksstimme“-Redakteur bzw. -Redakteurin als Künstler, Autor oder Musiker tätig sein.

Titelseite vom 15. August 1945

ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Titelseite vom 15. August 1945

Als „Fremdarbeiterin“ getarnt nach Österreich

Über 80 Prozent der „Volksstimme“-Redakteure und -Redakteurinnen stellten sich in der Zeit des Zweiten Weltkriegs gegen die NS-Politik. So auch Antonie Lehr, geboren 1907 in Czernowitz. Sie gehörte zu jener Gruppe von Widerstandskämpfern, die 1943 als „französische Fremdarbeiter“ getarnt von Frankreich aus zurück nach Österreich reisten, um den kommunistischen Widerstand im Land zu unterstützen – obwohl sie unter dem NS-Regime als Jüdinnen und Juden rassistisch verfolgt wurden.

1943 verließ Lehr Paris, um als Übersetzerin in der Floridsdorfer Lokomotivfabrik zu arbeiten, wurde aber 1944 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Auschwitz gebracht, im Jänner 1945 in das KZ Ravensbrück. Mit Hilfe einer illegalen Lagerorganisation konnte Lehr schließlich aus dem Lager geschmuggelt werden, und im August 1945 erreichte sie Wien. Wenige Jahre später wurde sie Redakteurin der „Österreichischen Volksstimme“.

Zweifel und Zwiespalt im Jahr 1956

Für die heimgekehrten Journalisten der KPÖ-Presse war die Sowjetunion der wichtigste Gegner des Nationalsozialismus, und diese Überzeugung bestimmte ihr weiteres Leben und ihre journalistische Arbeit. Doch als die Enthüllungen rund um den 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Februar 1956 und die Ereignisse in Ungarn im Herbst 1956 das kommunistische Weltbild erschütterten, geriet der Glaube an die Richtigkeit der Parteilinie bei vielen ins Wanken.

Das Jahr 1956 führte zu einer inneren Zerrissenheit vieler Anhänger der Kommunistischen Partei und wie auch andere europäische kommunistische Parteien spürte das auch die KPÖ anhand von Mitglieder- und Wählerrückgängen. Innerhalb der Partei entwickelte sich eine Diskussion, die Fragen nach den Ursachen für die Fehlentwicklungen haben jedoch eine untergeordnete Rolle gespielt.

Die KPÖ und ihr Zentralorgan waren auf personeller und struktureller Ebene eng verknüpft. Die redaktionelle Linie spielte im Fall des KPÖ-Zentralorgans eine besondere Rolle, denn die Blattlinie war die programmatische Orientierung der Partei. Vor diesem Hintergrund zeigen die Biografien der kommunistischen Journalisten in vielen Fällen, wie sie mit der Kluft zwischen persönlicher Wirklichkeit und produzierter Realität umgingen, die Kluft zwischen den Fakten und jenen Informationen, die man veröffentlichten durfte bzw. konnte.

Umwege, Auswege und Sackgassen

Wichtiger als die Wahrheit und die Tatsachen war die Linie der Partei. Manche haderten deshalb innerlich, andere zogen Konsequenzen und kehrten der Zeitung und der Partei den Rücken, blieben aber in vielen Fällen ihrer Überzeugung als Kommunistin bzw. Kommunist treu.

Die kommunistischen Journalistinnen und Journalisten, die nach 1945 in Österreich tätig gewesen sind, waren journalistisch erfahrene und unerfahrene, parteitreue oder von der Partei enttäuschte Redakteurinnen und Redakteure; Universitätsprofessoren, Künstler, Arbeiter, Schüler und Soldaten, Widerstandskämpfer, Gefangene oder Vertriebene. Eine kennzeichnende Biografie für die KPÖ-Presse gibt es nicht, es handelt sich vielmehr um vielfältige Journalistengeschichten mit verschiedenen Umwegen, Auswegen und Sackgassen.

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