„Unabhängige Forschung ist eine Illusion“

Global 2000 kritisiert die Rolle, die die Industrie bei der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat gespielt hat. Wissenschaft und Wirtschaft sind eng verwoben, sagt die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt - und erklärt, wie man die Einflussnahme verringern könnte.

Das sei auch eine gesellschaftspolitische Frage, so Felt gegenüber Christian Williwald im Ö1 Mittagsjournal. Das Beispiel Glyphosat zeige jedenfalls, dass Forschung immer auch von Interessen geleitet ist.

Am Mittwoch hat die Umweltschutzorganisation Global 2000 einen Bericht präsentiert, der u.a. zeigt, wie wie der US-Saatgutriese Monsanto an der Zulassung von Glyphosat beteiligt war. Der entsprechende Bericht wird am Donnerstag auf der Global 2000-Homepage veröffentlicht.

Sie forschen zum Verhältnis Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und sind dezidiert keine Expertin für Pflanzengifte. Aber ist Glyphosat aus ihrer Sicht ein Beispiel für das, was man gekaufte Wissenschaft nennt?

Ulrike Felt: Der Fall Glyphosat zeigt jedenfalls, wie alle Seiten immer auch Interessen verfolgen. Denn wissenschaftliche Forschung zu Wirkungen lässt immer ein bisschen Interpretationsspielraum zu. Wir wissen aus der Geschichte, dass die Wirtschaft natürlich versucht, freundliche Gutachten zu bekommen. Bei der Tabakindustrie hat man das z.B. sehr schön historisch nachweisen können. D.h., ganz oft ist die Fragen nur zum Teil eine wissenschaftliche. Bei Glyphosat sieht man das sehr schön: Es wird darüber diskutiert, ob es eine Gefahr sein könnte oder ob wir das Risiko schon benennen und in Prozentsätzen ausdrücken können. Da muss man sich als Gesellschaft fragen: Reicht es, dass es eine potenzielle Gefahr darstellt oder müssen wir ein benanntes Risiko haben.

Das kennen wir auch von anderen Beispielen, etwa von Handymasten. Also grundsätzlich steht die Wissenschaft immer vor dem Problem, dass sie - wenn man es drastisch sagen möchte - beweisen müsste, dass irgendein Mittel garantiert tödlich ist, damit man es verbieten kann. Ist alles, was danach kommt schon ein Graubereich, wo finanzielle Interessen ansetzen können?

Unsere Gesellschaft bringt ja ständig Innovationen hervor. Oft können wir im Vorhinein gar nicht einschätzen, welche Folgen sie haben werden. So ist das auch im Gesundheitsbereich, bei Medikamenten. Manchmal weiß man auch nicht, wonach man suchen soll. Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer Interpretationsspielräume. Die Frage ist, wie weit erlaubt man sie zu dehnen und Interessen hineinzubringen.

Das hängt auch von gesellschaftlichen Vorstellungen ab. In einer Demokratie ist es wichtig, solche Themen auf einer breiteren Ebene zu diskutieren. Man muss sich die Frage stellen, ob man tatsächlich alles, was technisch möglich ist, auch tun soll. Und das ist eigentlich eine gesellschaftspolitische Frage, nicht nur eine Frage von Experten. D.h., wenn es ausreichend Zweifel gibt - da ist Europa mit dem Vorsichtsprinzip durchaus ein Vorreiter -, könnte man sich tatsächlich die Frage stellen, wie die Balance zwischen Einsatz und Weglassen aussieht.

Kann man es sich ganz einfach machen und sagen: Industriefinanzierte Forschung wollen wir nicht, das wird bei Zulassungsverfahren nicht akzeptiert?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil wir natürlich im heutigen Forschungssystem auch von einer guten Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft abhängig sind. Hier einen Cut zu machen, wäre schwierig. Ich glaube aber, dass es gerade in so heiklen Fragen wichtig wäre von öffentlicher Hand entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, man muss sehr genau unterscheiden, welche Forschung privat finanziert werden kann und welche nicht.

Heißt das, man müsste das Geld aus Steuergeld zur Verfügung stellen? Sie haben vorher das Beispiel Medikamente angesprochen. Üblicherweise finanzieren die Hersteller die Zulassungsstudien selbst, auch weil sie so teuer sind. Wie realistisch ist es, dass die Allgemeinheit für so etwas aufkommt?

Es geht nicht nur um die Frage, wo das Geld herkommt, sondern darum, wer die Kontrolle über die Studien hat. D.h., wenn ich als Entwickler etwas auf seine Auswirkungen untersuchen muss, könnte ich ja Mittel zur Verfügung stellen, die aber dann über andere Ausschreibemechanismen vergeben werden.

Das hieße, Firmen zahlen und die Studie machen andere?

Das wäre eine Möglichkeit. Man könnte auch über Mischfinanzierungen und ähnliche Dinge nachdenken.

Aber von der Idee einer von der Wirtschaft unbeeinflussten Forschung muss man sich verabschieden, wenn ich sie richtig verstehe?

Wissenschaft und Wirtschaft sind immer teilweise aneinander gekoppelt. Wir erwarten ja auch ökonomische Weiterentwicklung über die Förderung von Wissenschaft. Gerade wenn wir heute immer über Innovationen reden, dann erwarten wir uns nicht nur Wissen, sondern auch umsetzbare Möglichkeiten. D.h., trennen kann man die beiden Dinge nie, man konnte sie auch nie trennen - das ist eine Illusion, die wir gerne aus der Vergangenheit heraufbeschwören. Was wir tun können, ist einen kritischen Geist hineinzubringen. Nicht alles, was wir wissen, müssen wir unbedingt umsetzen. Die Frage bis wohin wollen wir das, ist eine wesentlich breitere Frage, die man nicht privaten Firmen überlassen sollte.

science.ORF.at, Ö1 Wissenschaft

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