Hirnstimulation macht ehrlich

Ehrlichkeit, so heißt es, währt am längsten. Man kann aber auch ein wenig nachhelfen. Das haben Forscher nun versucht - und zwar mit leichten Stromschlägen direkt über dem Stirnhirn. Resultat: Die Behandlung half der Moral tatsächlich auf die Sprünge.

Blümlisalpstrasse Nummer 10, Zürich. Hier forscht Christian Ruff. Der Neuroökonom hat in den Labors der Universität Zürich kürzlich ein paar Versuche abgehalten, die einiges über die menschliche Natur erzählen.

Das Setting war denkbar einfach: Studenten mussten sich an einen Tisch setzen und dort drei Würfel werfen, zehn Mal hintereinander. Bei drei unterschiedlichen Augenzahlen (also etwa 1, 2 und 5) erhielten sie neun Franken, waren zwei oder mehr Augenzahlen gleich, gingen sie leer aus.

Schummelei statistisch bewiesen

Forscher befanden sich nicht im Raum, die Probanden blieben unbeobachtet - und hatten daher auch die Möglichkeit, die Wurfergebnisse zu „verbessern“. „Insgesamt konnten sie bis zu 90 Franken, also etwa 85 Euro bei diesem Versuch verdienen“, sagt Christian Ruff. „Das ist für Studenten schon ein relevanter Betrag.“

Probandinnen tragen Kappen mit Elektroden und sitzen in Kojen vor einem PC

Photo Courtesy of Marc Latzel

Ehrlichkeit auf dem Neuro-Prüfstand: der Versuch an der Universität Zürich

Wer von den Probanden geschummelt hatte, weiß Ruff nicht. Dass sie geschummelt haben, weiß er sehr wohl. Denn laut Statistik beträgt die Gewinnchance 50 Prozent. In der Auswertung lag der Anteil der erfolgreichen Würfe indes bei 70 Prozent. „Unsere Probanden waren der Versuchung ausgesetzt, ein wenig zu flunkern. Und das haben sie offenbar auch getan. Nicht immer, aber immer wieder“, sagt Ruff gegenüber science.ORF.at.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“, 11.4.2017, 13:55 Uhr.

„Ehrlichkeit ist trainierbar ...“

Ruff spielte den Versuch noch ein zweites Mal durch, diesmal verabreichte er den Probanden leichte, kaum wahrnehmbare Stromreize an der Kopfhaut über dem Stirnhirn, genauer: über dem rechten präfrontalen Cortex - eine Region, in der unter anderem die Abwägung von Eigennutz und Moral stattfindet. Wie die Forscher im Fachblatt „PNAS“ berichten, war die Wirkung der Stimulation spektakulär: Die Gewinnrate fiel von 70 auf 55 Prozent. Mit elektrischer Unterstützung blieben die Teilnehmer (fast) immer bei der Wahrheit - trotz der finanziellen Versuchung.

Auf das wirkliche Leben wird dieser Versuch freilich keine großen Auswirkungen haben, gesteht Ruff zu. Nicht zuletzt deshalb, weil Menschen im Alltag wohl kaum Kappen mit eingebauten Elektroden tragen würden. Dennoch birgt das Versuchsergebnis eine gute Nachricht: „Die Hirnströme, die durch die Stimulation ausgelöst wurden, sind nichts Unnatürliches. Sie entstehen auch in ganz normalen Alltagssituationen. Ehrlichkeit ist trainierbar - das ist zumindest unsere Hoffnung.“

"... und hat neurobiologische Grundlage"

Auch für die Rechtsprechung könnte ein Detailergebnis des Versuchs von Belang sein. Die elektrischen Reize zeigten nämlich vor allem bei jenen Probanden Wirkung, die in Befragungen Ehrlichkeit und Moral hoch bewertet hatten. Diejenigen, die dem Prinzip Eigennutz den Vorrang gegeben hatten, sprachen hingegen deutlich schwächer auf die Behandlung an.

Ruff schließt daraus: „Ehrlichkeit und Lüge haben eine neurobiologische Grundlage. Vielleicht müsste man in pathologischen Fällen auch die Frage der Verantwortlichkeit überdenken - so ähnlich, wie das bei Straftaten unter Alkoholeinfluss jetzt schon üblich ist.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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