Wie sich das Hirn von Einhändigen behilft

Wie flexibel das Gehirn ist, zeigt eine Studie an von Geburt an einhändigen Menschen: Bei ihnen repräsentiert die für die fehlende Hand zuständige Hirnregion die stattdessen benutzten Körperteile. Das können der Armstumpf, die Beine oder die Lippen sein.

Die Neurowissenschaftler um Tamar Makin vom britischen University College London ließen 17 Menschen, die nur mit einer Hand geboren wurden, verschiedene alltägliche Arbeiten verrichten: eine Flasche öffnen, einen Bleistift anspitzen, ein Geschenk einpacken. Die Probanden behalfen sich dabei mit anderen Körperteilen. Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) untersuchten die Wissenschaftler, welche Hirnregionen während der Tätigkeiten aktiv waren.

Sie stellten fest, dass während der Tätigkeiten auch diejenigen Hirnregionen, die üblicherweise das Steuern der fehlenden Hand übernehmen würden, aktiv sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die einarmige Versuchsperson eine Flasche zwischen die Beine klemmt, um sie mit der vorhandenen Hand zu öffnen. Wenn der Mund oder der handlose Arm zum Öffnen genutzt wird, leuchten bei der fMRT ebenfalls die handtypischen Regionen im motorischen Cortex auf. Diese Regionen entsprechen bei Menschen mit zwei Händen der nicht bevorzugten Hand, also der linken Hand bei einem Rechtshänder.

Nach Funktion organisiert

Bei Menschen mit einer fehlenden Hand ist also die zugehörige Hirnregion auch bei der Bewegung verschiedener anderer Körperteile aktiv. „Wenn das richtig ist, bedeutet dies, dass wir die Organisation des Gehirns missverstanden haben: Sie basiert nicht auf Körperteilen, sondern auf Funktionen“, wird Makin in einer Mitteilung der Fachzeitschrift zitiert. Allerdings schränkt sie gleich wieder ein, dass dies nur eine Arbeitstheorie sei. Ihre Arbeiten könnten aber für eine bessere Verwendung von Prothesen nützlich sein.

Hansjörg Scherberger vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, findet die Studie wegen der Teilnehmer sehr interessant: „Es ist anders als bei amputierten Händen, denn die Hand war ja noch nie da“, erläutert er den Unterschied zu früheren Untersuchungen. Dass die Hirnregion, die normalerweise die fehlende Hand steuern würde, bei der Benutzung anderer Körperteile aktiv ist, erklärt er mit der verfolgten Absicht: Die Planung einer Tätigkeit geschehe in der Handregion, die Ausführung dann mit anderen Körperteilen.

„Spannend“ und „gut gemacht“ finden auch Daniel Zeller von der Universität Würzburg und Martin Tegenthoff von der Ruhr-Universität Bochum die Studie. Ganz neu sei die Erkenntnis, dass das Gehirn sich der Funktion eines Körperteils anpasst, jedoch nicht, sagt Zeller. Ähnliches sei bereits von der Sehrinde bei Blinden bekannt. Tegenthoff betont, dass die Forscher eine Verringerung hemmender Neurotransmitter in der Hirnregion der fehlenden Hand festgestellt haben. Daraus ergebe sich, dass Nervensignale leichter Grenzen überschreiten könnten. Dies trage zur Flexibilität (oder Plastizität, wie die Neurologen sagen) des Gehirns bei.

science.ORF.at/APA/dpa

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