Wie aufgeklärt war Maria Theresia?

Wie stark waren die Reformen Maria Theresias von der Aufklärung geprägt? Zumindest zu Beginn sind sie mehr aus Not entstanden als aus Reformeifer, schreibt der Wiener Historiker Karl Vocelka in einem Gastbeitrag zum 300. Geburtstag der Herrscherin.

Neben der Vielzahl der Kinder Maria Theresias sind dem historisch weniger Interessierten vermutlich noch ihre Reformen und die Bezeichnung als „Kaiserin“ des aufgeklärten Absolutismus geläufig.

Wie ist nun die Intention der Reformen mit den Ideen der Aufklärung in Einklang zu bringen? Gemeinhin sieht man die großen Leistungen dieser in England und Frankreich entstanden Geistesströmung vor allem philosophisch in einem neuen, rationalen Zugang zur Welt, politisch in der Erklärung der Menschenrechte und der Gewaltenteilung.

Porträtfoto des Historikers Karl Vocelka

Privat

Über den Autor

Karl Vocelka, Studium, Promotion und Habilitation für das Fach Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Langjähriger Institutsvorstand des Instituts für Geschichte und vielfacher wissenschaftlicher Ausstellungsleiter. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: „Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn 1830-1916“, C.H.Beck (Leseprobe als PDF) sowie „Sisi. Leben und Legende einer Kaiserin“, beck wissen (Leseprobe als PDF).

Die großen politischen Folgen haben sich zwar in der Regierungszeit Maria Theresias in den britischen Kolonien in Nordamerika (den späteren Vereinigten Staaten) durchgesetzt, in Europa hingegen wurde erst mit der Französischen Revolution von 1789 – als fast ein Jahrzehnt nach dem Tod Maria Theresias – die neue Staatstheorie in der Praxis erprobt.

Aus der Not entstanden

Der Beginn der Reformtätigkeit in der Habsburgermonarchie stand nicht im Zeichen eines großen Reformentwurfes, sondern ist aus der Not des Regierungsbeginns Maria Theresias geboren. Nach dem Tod ihres Vaters, Kaiser Karl VI., konnte sie nicht wie in der Pragmatischen Sanktion von 1713 vorgesehen, die Länder der Monarchie problemlos übernehmen.

Das Eingreifen Preußens, Bayerns und Frankreichs führte zum acht Jahre dauernden Österreichischen Erbfolgekrieg, der trotz der vielen Niederlagen letztlich glimpflich für die Habsburgermonarchie ausging – einzig Schlesien ging verloren, allerdings ein Verlust, den Maria Theresia nicht verschmerzen konnte.

Zur Tatsache, dass man nun eine stärkere Armee aufzubauen begann – die große Artilleriereform unter Prinz Joseph Wenzel Lichtenstein noch während des Erbfolgekrieges war ein erster Schritt – kam auch die Erkenntnis, dass die Preußen in Schlesien mehr Steuern einheben konnten, als es unter der österreichischen Herrschaft der Fall war. Das führte zu einer Heeres- und Steuerreform, die eine Reihe von Folgen mit sich brachten, die man im Sinne einer Modernisierung des Staates interpretieren kann.

Maria Theresien Denkmal Wien

ORF/RIHA Film

Maria Theresien Denkmal in Wien

Modernisierung des Staates

Zunächst wurde das Steuersystem verändert, die adeligen Stände und die geistlichen Herren wurden ebenfalls steuerpflichtig, mussten die Steuern für zehn Jahre zusagen und verloren das Recht der Steuereinhebung bei ihren Untertanen. Die Steuerpflicht für den Eigenbesitz, das Dominikalland von Adel und hohem Klerus, führte zur Anlage eines Katasters, der ein Vorläufer des späteren Grundbuchs war und letztlich zu einer kartografischen Erfassung des Territoriums führte, die auch militärische Aspekte hatte.

Die Volkszählungen, die ab 1752 durchgeführt wurden, schlugen auch in diese Kerbe des Festmachens der militärisch wichtigen Bevölkerungsteile, es wurden Männer, vor allem künftige Rekruten, aber auch das Zugvieh – Ochsen und Pferde – gezählt, die im Kriegsfall zum Vorspann von Kanonen oder militärischen Transporten dienen konnten.

Zur besseren Erfassung der Bevölkerung gehörten auch die endgültige Festlegung von Namen und die Hausnummerierung, die eine Voraussetzung für die leichtere Aushebung von jungen Männern zum Militärdienst bildete. Auch eine neue Ausbildungsstätte für und Unteroffiziere in Wiener Neustadt steht in diesem Zusammenhang der Aufwertung der Armee, hat aber auch einen erzieherischen Aspekt, der enger als die Heeresreform mit Ideen der Aufklärung verbunden ist.

Ein „ausgeborgter“ Preuße

Die Schaffung von Bildungseinrichtungen geht in der Zeit Maria Theresias von der niedersten zur höchsten Stufe voran. Die Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht, die für die meisten Mädchen und Buben eine Schulpflicht darstellte, weil sich ihre Eltern keine Hauslehrer leisten konnten, lag im Trend der Zeit, ähnliche Maßnahmen gab es auch in anderen Ländern und es ist mehr als ein Zufall, dass Maria Theresia den Reformer Ignaz Felbiger aus Preußen „ausborgte“.

Eine Rolle bei der Schaffung eines säkularen Schulsystems spielte sicherlich die Tatsache, dass 1773 der Jesuitenorden aufgelöst wurde und damit ein Vakuum im Bildungssektor zu füllen war. Aber auch die Reform der Universität durch Gerard van Swieten, den aufgeklärten niederländischen Leibarzt Maria Theresias, steht mit der Säkularisierung dieser Institution nach dem (vorläufigen) Ende der Jesuiten in engem Zusammenhang. Die Reformen waren vor allem in der medizinischen Fakultät besonders erfolgreich und die Erste Wiener Medizinische Schule, basierend auf einem Kultur- und Wissenschaftstransfer aus den Niederlanden, wurde zu einer dominanten Legende des Wiener Bildungssystems.

Gemälde von Maria Theresia und Joseph II., Bezirksmuseum Wien.

ORF/Interspot Film

Gemälde von Maria Theresia und Joseph II., Bezirksmuseum Wien.

Bildungsreformen geprägt von Nützlichkeit

Zu dieser Förderung von Bildung und Wissenschaft – hier wäre auf das große Interesse Franz Stephans von Lothringen, des Mannes Maria Theresias ,für Naturwissenschaften hinzuweisen – gehörte auch die Gründung von spezialisierten Institutionen, die mit heutigen Fachhochschulen vergleichbar sind.

Neben der schon genannten Militärakademie gründete Maria Theresia Vorläufer der Kunstuniversität durch die Zusammenlegungen verschiedener Kupferstecherschulen, der Universität für Veterinärmedizin mit der „Bildungsschule für pferdeärztliche Routiniers und Beschlagschmiede“, aber auch die Eliteschule des Theresianums und die Orientalische Akademie oder Sprachknabenschule als Vorläufer der Wiener Diplomatischen Akademie, sowie mit der Bergakademie im heute slowakischen Schemnitz (Banská Štiavnica) einen Vorläufer der Montanistischen Universität.

Die Idee der Nützlichkeit stand dabei im Vordergrund – klar etwa bei den Tierärzten, die für die militärisch eingesetzten Pferde zentral waren, aber auch Tierseuchen im agrarisch dominierten Staat bekämpften –, jedoch ebenso, wenn auch weniger auf der Hand liegend, bei der Kunst, die der herrscherlichen Repräsentation ebenso diente wie der Gestaltung von Textilien, Glas- und Tonwaren in der Protoindustrialisierung.

Maria Theresia auch sehr wenig tolerant

Klar nicht im Geiste der Aufklärung verhielt sich Maria Theresia in zwei Fragen, die wichtige Parameter für den Umgang mit den neuen Ideen waren. Die Folter, die in der frühen theresianischen Gesetzgebung genau reglementiert wurde, hob sie erst spät unter dem Einfluss ihres Sohnes auf.

Religiöse Toleranz war ebenfalls keine Eigenschaft der streng katholischen Herrscherin – sie siedelte (Geheim)Protestanten aus der Steiermark, aus Kärnten und Oberösterreich (Landler) in den Osten Ungarns um, wo sie gleichzeitig die durch die langen Kämpfe mit den Osmanen dünn gewordene Besiedlung verbesserten. Kleine Kinder wurden den protestantischen Familien weggenommen und zu katholischen Familien gesteckt, ältere in Arbeitshäusern untergebracht.

Eine besondere Abneigung hatte Maria Theresia gegen die Juden, sie zwang 1744 die Prager Juden mitten im tiefsten Winter die Stadt zu verlassen – wollte sie letztlich ganz aus Böhmen vertreiben, was der Widerstand des Adels nicht erlaubte. Auch die galizischen Juden erlitten nach der Erwerbung dieses Landes 1772 Unbill, nicht zuletzt durch die ihnen zugeteilten Familiennamen, die oft diskriminierend waren. Schöne Namen mussten durch „Geldgeschenke“ an die Beamten teuer erkauft werden.

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