Warum Computer nicht beliebig schrumpfen können

Der Wittgenstein-Preis 2017 geht an Hanns-Christoph Nägerl: Der Innsbrucker Physiker erklärt im Interview, warum Computerbauteile bald verrückt spielen - und wo in seinem Fach der Nobelpreis winken könnte.

Herr Nägerl, die Speicherdichte von Chips und Prozessoren hat sich seit den 60ern alle ein bis zwei Jahre verdoppelt. Das kann nicht ewig so weitergehen, oder?

Hanns-Christoph Nägerl untersucht, was mit Computerbauteilen an der Schwelle zur Quantenwelt passiert. 2006 habilitierte er sich an der Uni Innsbruck, seit 2011 ist er ebenda ordentlicher Professor für Physik. In diesem Jahr erhielt er für seine Forschungen an kalten Atomen in Lichtfallen den vom Wissenschaftsfonds FWF verliehenen Wittgenstein-Preis, den größten Wissenschaftspreis des Landes.

Wenn sich die Entwicklung so fortsetzt wie bisher, dann haben wir in zehn, 15 Jahren die Grenze erreicht. Dann werden nämlich die Leiterbahnen auf Chips nur mehr so groß sein wie ein Atom. Kleiner wird es nicht gehen - es sei denn, man findet etwas ganz Neues. Aber das glaube ich nicht.

Wo steht die Technologie heute?

Die Strukturen bewegen sich im Bereich von zehn Nanometern und darunter. Das heißt, die Leiterbahnen sind einige hundert Atome breit. Die Grenze ist nicht mehr so weit weg. Es gibt mittlerweile einige Forschergruppen, die sich mit einatomigen Leiterbahnen beschäftigen.

Hanns-Christoph Nägerl

Die Fotografen, Innsbruck

Hanns-Christoph Nägerl erhält für seine Forschungen an Quantengasen den Wittgenstein-Preis.

Was passiert an dieser Grenze?

Ehrlich gesagt, wir wissen das nicht genau. Im Experiment wurde gezeigt, dass man Transistoren aus einem Atom bauen kann. Oder solche, durch die einzelne Elektronen fließen. Aber es ist komplett unklar, ob die Mikroelektronik - oder vielleicht sollte man sagen: „Subnanoelektronik“ - dann noch funktioniert.

Weil ab diesem Punkt die Gesetze der Quantenwelt das Kommando übernehmen?

Genau. Ich weiß von Kollegen, dass zum Beispiel die Elektronen ab einer gewissen Kleinheit der Leiterbahnen sogenannte Stehwellen ausbilden.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in den Journalen: 19.6., 12 Uhr.

Elektronen sind im Computer Informationsträger: Was bedeutet eine Stehwelle der Information? Dass Information nicht mehr fließen kann?

Das könnte passieren. Vermutlich wird man eine ganz andere Elektronik bauen müssen. Die Elektronen werden dann nicht mehr wie kleine Billardbälle durch die Leiterbahnen sausen. Sicher ist: Stehwelleneffekte will man nicht haben. Was man aber durchaus gerne hätte, sind Quanteneffekte wie die sogenannte Verschränkung. Damit wären parallele Berechnungen mit Quantenbits möglich, also Überlagerungen von Null und Eins.

Da heißt, ein normaler Computer wird durch die Verkleinerung automatisch zum Quantencomputer?

Das ist zumindest die Hoffnung. Es könnte auch sein, dass die Verschränkung zu schnell zerfällt und man dann doch wieder klassisch - also mit Nullen und Einsen - rechnet. Wir wissen bis heute nicht, welche Auswirkungen die Temperatur hat und ob man diese Effekte unterdrücken kann. Ich finde das sehr spannend. Beziehungsweise: Wenn es klar wäre, würden wir nicht das machen, was wir eben machen.

Was uns zu Ihren Experimenten führt: Was untersuchen Sie im Labor?

Wir versuchen herauszufinden, was mit Leiterbahnen an der Schwelle zur Quantenwelt passiert. Dafür verwenden wir kalte Atome als Modell: Wir setzen sie in ein Lichtgitter und simulieren damit den Fluss von einzelnen Elektronen. Diese Gitter können alle möglichen Formen haben. Wenn sie schlauchförmig sind, dann nennen wir das „Quantendraht“, „quantum wire“. Was uns besonders interessiert, ist die Frage: Was passiert, wenn die Teilchen miteinander in Wechselwirkung treten?

Grafik: "Quantendraht", bestehend aus einem Lichtschlauch und Cäsium-Atomen

Uni Innsbruck

„Quantendraht“: Cäsium-Atome wandern durch einen Lichtschlauch.

Welche Atome sind das?

Elemente, die man gut mit Lasern kühlen kann. Also Kalium, Natrium, Rubidium - in unserem Labor ist es vor allem Cäsium. Wir kühlen die Quantendrähte im Hochvakuum extrem ab, damit können wir Temperatureffekte fast ausschließen. Unter diesen Bedingungen bilden die Atome eine Supraflüssigkeit - ab wann diese Eigenschaft auftritt, versuchen wir in unseren Experimenten zu klären.

Der Computer der Zukunft wäre supraleitend?

Es wäre vorstellbar, dass man einmal Computer mit supraleitenden Schaltkreisen baut. Noch funktioniert das erst ansatzweise im Experiment, aber das könnte die Zukunft sein. Es gibt noch einen anderen Grund, warum wir diese Systeme bauen: Sie sind auch ein Modell für die Hochtemperatur-Supraleitung. Die „normale“ Supraleitung nahe dem absoluten Nullpunkt ist recht gut verstanden, aber die Hochtemperatur-Supraleitung bei 100 Kelvin (Anm. minus 173 Grad Celsius) ist es nicht. Sie wurde in den 1980er Jahren mehr oder weniger zufällig entdeckt - und die Physiker wissen bis heute nicht, was da eigentlich passiert.

Warum ist das Phänomen nicht verstanden?

Wir wissen, welche Gleichungen wir hinschreiben müssen. Aber es ist in den meisten Fällen nahezu unmöglich, die Gleichungen zu lösen. Man kann das Phänomen auch nicht auf einem klassischen Computer simulieren. Wenn es gelänge, die Hochtemperatur-Supraleitung durch ein Modell zu verstehen - das wäre der Hammer.

Nobelpreisverdächtig?

Auf jeden Fall, ja.

Jedenfalls: Wenn die Antwort kommt, dann kommt sie aus dem Experiment?

Wir - und damit meine ich die gesamte Community - befinden uns nun an der Schwelle, wo das Experiment mächtiger wird als die klassische Theorie. Wenn man einen Quantencomputer hätte, dann wäre eine Berechnung wiederum möglich. Aber den hat keiner.

Sie haben im Vorjahr in Innsbruck an einem Science-Slam-Contest teilgenommen: Wie kam Ihr Auftritt an?

Das Feedback war sehr gut. Alle, die das Video gesehen haben, waren begeistert. Aber ich kann mir das Video nicht anschauen. Ich sage ganz ehrlich: Es ist so peinlich.

Warum?

Weil ich mit meinem Vortrag nicht fertig wurde, ich habe mich einfach in der Zeit verschätzt. Es hat sehr viel Spaß gemacht, aber ich war mit mir unzufrieden.

In dem Vortrag ging es um die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Genau. Warum ist die Welt so, wie sie ist? Das lässt sich durch das Verhalten von zwei Teilchen - den Fermionen und Bosonen - beantworten. Wenn die Welt nur aus Bosonen bestehen würde, dann würde alles kollabieren. Wenn mich jemand fragen würde: Was ist das Erstaunlichste an der Physik? Dann wäre meine Antwort: Der Unterschied im Verhalten von Fermionen und Bosonen - und die Konsequenzen, die sich daraus für die Welt ergeben.

Der deutsche Astrophysiker Harald Lesch hat einmal gesagt: Fermionen sind miteinander verfeindet und Bosonen sind ineinander verliebt.

So kann man es ausdrücken. Zum Glück sind die meisten Teilchen Fermionen: Denn es sind die Fermionen, die die Materie aufbauen.

Die Bosonen hingegen vermitteln die Naturkräfte. Wie wäre die Welt, wenn es diese Kräfte nicht gäbe?

Dann würde gar nichts passieren. Das wäre langweilig. Irgendwie hat die Natur das alles richtig gemacht.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: