Experten fordern offene Datenbank

Welche Menge Unkraut- und Insekten-Vernichtungsmittel landet auf heimischen Feldern? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn in Österreich wird nur zentral erfasst, was verkauft wird. Experten fordern daher eine transparente Datenbank im Internet.

Landwirtschaftskammer und die meisten Bundesländer hingegen fürchten eine „überbordende Bürokratie“ und hegen Zweifel am Sinn, „insbesondere angesichts ohnehin gut funktionierender Kontrollmechanismen.“

Beispiel Neonicotinoide

Ein Beispiel betrifft Neonicotinoide, die auf die Nervenzellen von Insekten wirken. Sie stören die Signalübertragung, die Insekten krampfen und sterben schließlich. In der Landwirtschaft werden Neonicotinoide eingesetzt, um Schädlinge von Pflanzen fernzuhalten. In den letzten Jahren haben aber Studien Hinweise darauf geliefert, dass sie auch Bienen und Hummeln schädigen.

Ö1 Sendungshinweis:

Über die Debatte zu Pestiziden berichteten auch Morgenjournal sowie Mittagsjournal am 6. Juli 2017.

Seit 2013 sind Neonicotinoide verboten - aber nur teilweise. „Aufgrund der hohen Bienengiftigkeit dieser Stoffe wäre es extrem wichtig zu wissen, wie viel davon in Umlauf sind. Und es wäre auch interessant zu wissen, wie sie sich im Boden verhalten“, sagt Peter Schweiger, Biologe bei der Umweltschutzorganisation Global 2000.

Der Landwirtschaftssprecher Sebastian Theissing-Matei von Greenpeace ergänzt: „Manche Neonicotinoide wirken in Kombination mit bestimmten anderen Herbiziden giftiger auf die Biene. Deshalb ist die Kombination von Wirkstoffen sehr interessant, um zu sehen, was in der Realität wirklich miteinander eingesetzt wird.“

Keine Übermittlung der „Spritztagebücher“

Aber was in der Realität eingesetzt wird von Neonicotinoiden, Glyphosat und rund 500 weiteren, in der EU als Pestizide zugelassenen Chemikalien, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Dokumentiert wird lediglich, wie viel in Verkehr gebracht, also verkauft wird - von Glyphosat waren es beispielsweise im vergangenen Jahr 311,5 Tonnen.

Zwar sind die Landwirte verpflichtet, sogenannte „Spritztagebücher“ zu führen und genau festzuhalten, welche Mittel sie wann, wo und bei welcher Kulturpflanze sie einsetzen. Aber das Landwirtschaftsministerium hält in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Ö1 fest: „Eine grundsätzliche Verpflichtung der Landwirtinnen und Landwirte zur Übermittlung der Aufzeichnungen ist nicht vorgesehen.“

Sie bleiben also auf den Bauernhöfen. Eine gebündelte Auswertung, wo welche Pestizide und Insektizide am Feld eingesetzt werden, ist nicht möglich. Peter Schweiger von Global 2000: „Da läge es schon an der Politik nachzuschärfen und genauere Richtlinien zu erlassen, damit diese angewendeten Mengen auch genauer erhoben werden.“

Ein Landwirt versprüht auf einem Feld ein Pflanzenschutzmittel.

APA/DPA/Arne Dedert

Jeder Landwirt führt ein „Spritztagebuch“, diese Aufzeichnungen bleiben aber auf den Bauernhöfen. Zentrale Auswertung gibt es nicht.

Verstoß gegen Aarhus-Konvention?

Dem stimmt auch der Jurist Gregor Schamschula vom Ökobüro Wien zu. Er sieht in der aktuellen Situation möglicherweise einen Verstoß gegen die Aarhus-Konvention, eine von Österreich in nationales Recht übernommene internationale Übereinkunft: Österreich würde „die Verpflichtung treffen, diese Informationen aktiver einzuholen und auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“ Er erwartet, „dass Österreich künftig diesen Weg geht“.

Und der Experte für Umweltinformation fordert, dass es für den Boden geben soll, was für die Luft bereits existiert: ein dichtes Netz von Messstellen und die Ergebnisse beispielsweise in Form einer Landkarte möglichst aktuell im Internet.

Verkaufsmengen zu 99,99 Prozent richtig

Es stimmt, dass in Österreich Zahlen zur Menge der verkauften Spritzmittel vorliegen, aber nicht zu den tatsächlich verwendeten, sagt Guenther Rohrer von der Österreichischen Landwirtschaftskammer. Und diese Mengen können sich unterscheiden: „Es ist schon richtig, dass die Landwirte öfter vorbeugend bei Aktionen einkaufen. Außerdem warten sie ab, ob der Schädling wirklich auftritt. Wenn nicht, wird das Pflanzenschutzmittel für das nächste Jahr gelagert.“

Heuer beispielsweise ist so ein Jahr, in dem Pilzbekämpfungsmittel liegen bleiben, weil das Frühjahr sehr trocken war und sie deshalb - im Unterschied zu 2016 - nicht eingesetzt werden mussten. Das seien aber nur geringfügige Abweichungen zu den Mengen in der Verkaufsstatistik: „Mehrjährig stimmt diese Statistik zu 99,99 Prozent überein mit den ausgebrachten Mengen.“

Unbeliebte Bürokratie

Die Verkaufsstatistik wird jährlich im sogenannten „Grünen Bericht“ des Landwirtschaftsministeriums veröffentlicht. Wie viel von einem einzelnen Wirkstoff aber verkauft wird, kann ebenso wenig nachvollzogen werden wie die Kombinationen, in denen es verwendet wird. Wäre es da nicht einfacher, die Spritztagebücher auszuwerten, die die Landwirte und Landwirtinnen sowieso führen müssen? „Wir ächzen unter der Bürokratie als Landwirte, und jede weitere Meldung, jede weitere Aufzeichnung und EDV-mäßige Erfassung ist bei den Landwirten unbeliebt“, so Guenther Rohrer von der Landwirtschaftskammer.

Ähnliche Rückmeldungen kommen auf Anfrage von Ö1 auch aus den für Landwirtschaft zuständigen Bundesländern. Niederösterreich verweist grundsätzlich auf die Haltung der Landwirtschaftskammer, aus Oberösterreich heißt es aus dem Büro von Landesrat Max Hiegelsberger: „Das würde einen sehr hohen Personal- und Arbeitsaufwand sowohl bei den Anwendern als auch der Behörde verursachen. Dies erscheint in Zeiten des Personalabbaus und der Verwaltungsreform nicht sinnvoll, noch dazu, wo mit den vorhandenen Kontrollinstrumenten derzeit gut das Auslangen gefunden wird.“

Vorarlberg: „Pestizide sind Umweltinformationen“

Auch Kärnten und Salzburg lehnen eine Digitalisierung und Vernetzung der Spritztagebücher mit Hinweis auf den Aufwand ab, das Burgenland möchte den Sinn vorab klären. In der Steiermark verweist man auf jährlich veröffentlichte Bodenschutzberichte, in denen einzelne Pestizide erfasst sind.

Nur Vorarlbergs Landesrat Erich Schwärzler hält fest: „Die Menge an Pestiziden, die in einem gewissen Zeitraum verwendet wurde, stellt eine Umweltinformation dar, welche der informationssuchenden Person ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber innerhalb eines Monats mitzuteilen ist.“ Die rechtliche Grundlage zu einer Zusammenfassung der Daten sei in Vorarlberg vorhanden, so der Landesrat.

Das Landwirtschaftsministerium möchte aus Zeitgründen gegenüber Ö1 nicht Stellung nehmen.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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