Hausstaub als Dickmacher im Verdacht

Macht Hausstaub dick? Hinweise darauf haben Wissenschaftler bei Versuchen mit Fettzellen gefunden. Verantwortlich für den Effekt: hormonell wirksame Chemikalien, die sich im Staub ansammeln.

Falsche Ernährung und Bewegungsarmut gelten als die Hauptauslöser der laut der Weltgesundheitsbehörde (WHO) voranschreitenden „Fettsucht-Epidemie“. Nun gerät eine bisher kaum beachtete Ursache in den Fokus der Forschung. Der Befund stammt allerdings nicht von Untersuchungen am Menschen, sondern von Versuchen mit Zellen im Reagenzglas.

Forscher der Duke University in North Carolina, USA, hatten Vorläufer von Maus-Fettzellen („3T3-L1“) mit elf verschiedenen Staubproben aus Haushalten behandelt. Resultat: Sieben der elf Proben regten die Zellen innerhalb von zwei Wochen zur Einlagerung von Fett an; neun davon animierten sie zur Zellteilung, also zur Vergrößerung des Fettreservoirs.

In geringsten Dosen wirksam

Wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Environmental Science & Technology“ schreiben, war der Staub bereits ab einer Menge von drei Mikrogramm wirksam - zum Vergleich: Laut Schätzungen der amerikanischen Environmental Protection Agency nehmen Kinder pro Tag mehr als das Zehntausendfache, nämlich rund 50 Milligramm Hausstaub in ihren Körper auf. Etwa durch Inhalieren, Schlucken oder Hautkontakt.

Dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist damit zwar nicht bewiesen, aber „sehr plausibel“, sagt Studienautor Chris Kassotis gegenüber science.ORF.at.

Hausstaub unte dem Mikroskop

NIAID

Hausstaub unter dem Mikroskop: Hier sammeln sich auch Chemikalien an

Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der Med Uni Wien, pflichtet ihm bei: „Wir haben aus epidemiologischen Untersuchungen bereits gut fundierte Hinweise, dass die genannten Umweltgifte den Stoffwechsel und das Körpergewicht von Menschen beeinflussen können. Diese Studie schließt eine Lücke: Sie zeigt, welcher Mechanismus dahinter steht.“

Hormonsystem gestört

Insgesamt hatten Kassotis und seine Kollegen 44 Verbindungen im Hausstaub untersucht, sie gehören zur Kategorie der „hormonaktiven Stoffe“ (EDCs), soll heißen: Sie besitzen entweder selbst eine hormonähnliche Wirkung oder beeinflussen das Hormonsystem indirekt.

Die drei in den Versuchen am stärksten wirksamen Substanzen hatte die Toxikologie überraschenderweise bisher nicht auf der Liste chemischer Dickmacher. Das sind: der Brandhemmer TBPDP, verwendet etwa in Möbeln und Computerbauteilen, das Pilzgift Pyraclostrobin sowie DBP, ein verbreiteter Weichmacher in Kunststoffen.

Derzeit sind der Forschung etwa 1.000 verschiedene EDCs bekannt, ihre Wirkung liegt vielfach noch im Dunkeln. Offen ist vor allem die Frage, wie die Stoffe in Kombination wirken. „Ob sie das Körpergewicht so stark wie Fehlernährung oder Bewegungsarmut beeinflussen, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen“, so Kassotis. „Doch dass sie als Faktor wirksam sind, ist ziemlich sicher.“

Folgekosten im Milliardenhöhe

Ein Team um den Mediziner Leonardo Trasande hat vorletztes Jahr berechnet, welche Folgekosten durch hormonell aktive Chemikalien entstehen. Fazit: Allein der Effekt auf Übergewicht und Diabetes kostet die Gesundheitssysteme in der EU 18 bis 29 Milliarden Euro. Der Betrag ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu niedrig gegriffen, denn in dieser Studie wurden bloß die fünf wichtigsten EDCs berücksichtigt.

Klinische Studien bleiben in diesem Feld indes Mangelware. „Schöne“ Daten, die akkumulierte Wirkungen über Monate oder Jahre hinweg belegen würden, gibt es allenfalls durch ungeplante Wendungen in der medizinischen Praxis.

„Regelungen zu lax“

So geschehen etwa bei einem synthetischen Östrogen namens Diethylstilbestrol (DES). Die Substanz wurde Schwangeren zwischen den 40er und 70er Jahren routinemäßig verschrieben, weil man meinte, sie verhindere Fehlgeburten. Erst später stellte sich heraus: Das hatte fatale Auswirkungen auf die Gesundheit der ungeborenen Kinder. „DES kann zu Unfruchtbarkeit führen und bestimmte Krebsarten auslösen. Ähnliche Effekte beobachten wir auch bei Tierversuchen mit hormonell wirksamen Chemikalien aus der Umwelt“, sagt Kassotis.

Hutter nimmt angesichts solch unwägbarer Risiken die Politik in die Pflicht. Die aktuellen Regelungen für Chemikalien seien zu lax, es brauche niedrigere Grenzwerte und deutlich strengere Prüfungen vor der Zulassung. „Das ist ein sehr, sehr starker Hinweis darauf, dass man mit der Chemikalienpolitik kein Laissez-faire betreiben darf.“

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: