Wenn ein Atom zum Diktator wird

Chemisches Verhalten ist fast immer demokratisch geregelt: Die Mehrheit entscheidet. Für ein Element scheint das allerdings nicht zu gelten, wie eine neue Studie zeigt. Das radioaktive Americium zwingt anderen Atomen seinen Willen auf.

Begonnen hat alles vor zwei Jahren mit einem Forschungspraktikum an der Technischen Universität Wien. Der Strahlenphysiker Georg Steinhauser, er forscht mittlerweile an der Universität Hannover, gab damals zwei interessierten Studenten folgende Aufgabe: Sie sollten die chemischen Eigenschaften zweier Elemente untersuchen, des radioaktiven Americiums sowie der seltenen Erde Terbium. Dass diese beiden Elemente ähnlich sind, war bereits bekannt. Doch das Experiment förderte mehr als nur das zu Tage.

Ähnlich oder ident?

Im Labor wirkten die beiden Elemente zunächst so, als ob sie ident wären, sagt Georg Steinhauser von der Universität Hannover. Deswegen wiederholten der Strahlenphysiker und seine Kollegen das Experiment etliche Male. „So sind wir nach und nach einer gewissen Systematik auf die Schliche gekommen“, erläutert Steinhauser. Das Americium bestimt die Struktur des Stoffes und das Terbium hat sich zu fügen.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ (18.8.2017, 13.55 Uhr).

Schließlich zeigten die Experimente: Ein Americium-Atom beeinflusst das Verhalten von 500 Millionen Terbiumatomen. Es verändert das Kristallisationsverhalten des Terbiums. So zeigt die schwere seltene Erde Terbium plötzlich Eigenschaften einer „leichten“ seltenen Erde. „Der Vorgang ähnelt dem Bau einer Ziegelmauer: Das Americium ist der allererste Ziegel, der sich mit dem Bindungspartner zum Kristallisieren hinsetzt und die Mauer wird dann aufgrund dieser Vorgabe fortgeführt und erfüllt“, so Steinhauser.

Relevant für Atommüllendlager

Die Arbeit, bei der die Technische Universität Wien, die Uni Wien und die Universität Hannover kooperiert haben, ist soeben im Fachmagazin „Angewandte Chemie“ erschienen. Interessant ist diese Studie über das Verhalten des Americiums nicht nur für die Wissenschaft. Denn das radioaktive Element kommt auch in Atommüll vor und muss dementsprechend sicher in Endlagern untergebracht werden.

Die Studie gibt erste Hinweise darauf, dass Elemente wie das Americium ihre Umwelt auf sehr spezifische Weise beeinflussen könnten. „Diese Relevanz zu kennen, bringt uns einem sicheren Endlager ein gutes Stück weiter“, so Steinhauser. Für die Praxis bedeutet das: Das Americium muss so untergebracht werden, dass es gar nicht erst in Versuchung kommt, den anderen seinen Willen aufzuzwingen.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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