„Wahrnehmung ist kontrollierte Halluzination“

Nicht nur psychisch auffällige Personen erleben manchmal Halluzinationen. Wie sie entstehen, weiß man nicht genau. Eine neue Studie zeigt: Akustische Illusionen hängen stark von Wissen und Vorerfahrungen ab.

Vom Telefon, das gar nicht klingelt, bis zu Stimmen, die nicht da sind - auch Menschen, die nicht psychisch krank sind, haben Halluzinationen. Manchmal sogar in einem Ausmaß, das es für einen Laien durchaus besorgniserregend wirken kann, wie der Psychiater Al Powers von der US-amerikanischen Universität Yale erzählt: „Akustische Halluzinationen: Schritte, Stimmen, die etwas sagen, oder Geräusche - unterscheiden sich in Länge bzw. Intensität nicht besonders - egal, ob die ‚Stimmenhörer‘ klinisch betreut werden oder keine Behandlung brauchen, weil sie im Alltag gut damit umgehen können.“ Der Unterschied liege eher in den Annahmen, woher diese Stimmen kommen, und ob man meint, dass sie Böses wollen oder sie auch selbst kontrollieren zu können.

Die gängige Theorie war lange, dass solche halluzinierte Stimmen ein nicht ausreichend unterdrückter innerer Monolog wären, erklärt Powers’ Kollege, Phil Corlett. Gemeinsam mit Forschern vom University College London und der ETH Zürich wollten die beiden eine Annahme testen, die sich immer mehr durchsetzt: dass Halluzinationen - genau wie die Wahrnehmung allgemein - von Vorwissen und von Erwartungen abhängen.

Pawlowsche Töne

In ihrem Experiment haben die Forscher vier Gruppen verglichen - psychisch gesunde und kranke „Stimmenhörer“ sowie psychisch gesunde und kranke „Nicht-Stimmenhörer“. Die Testpersonen wurden mit klassischer Konditionierung darauf trainiert, ein Schachbrettmuster mit einem Ton in Verbindung zu bringen, der in der Lautstärke variiert - und manchmal kaum oder auch gar nicht zu hören war.

Im Verlauf des Experiments wurde der Ton immer seltener gespielt, aber trotzdem von allen Probanden manchmal halluziniert. Begleitende fMRI-Scans zeigen, dass auch das Gehirn „glaubte“, einen Ton zu hören. Und im Computermodell konnte man laut den Forschern sehen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Proband angeben wird, einen Ton gehört zu haben.

Jene Probanden, die normalerweise keine Stimmen hören, konnten den Zusammenhang von Schachbrettmuster und Ton allerdings leichter wieder verlernen - d.h., die Halluzinationen wieder loswerden - egal, ob sie psychisch krank oder gesund waren.

Halluzinationen und Wirklichkeit

„Wir glauben, dass man Wahrnehmung im Allgemeinen als kontrollierte Halluzination sehen kann“, sagt Powers. Denn auch die alltägliche Wahrnehmung hänge nicht allein von Sinneseindrücken ab. Die Bedeutung, die ein Reiz bekommt, ist geprägt von unseren Annahmen und unserer Erfahrung mit der Welt. „Halluzinationen könnte man dann als eine falsche Gewichtung von Erfahrungen und Erwartungen gegenüber einem ankommenden Reiz verstehen.“ D.h., dass man - wie im Experiment - einen Ton hört, nur weil ein Schachbrettmuster ihn erwarten lässt.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 11.8. um 13:55

Die aktuelle Studie untermauert diesen Zusammenhang zwischen Erwartung und Wahrnehmung. Menschen, die Stimmen hören, dürften einfach stärkere Zusammenhänge bilden. Sie nahmen die halluzinierten Töne häufiger und auch überzeugter wahr.

Weg zu besserer Behandlung und Diagnose

Woher Stimmen oder Töne, die nicht da sind, im Alltag kommen, wird dadurch natürlich nicht erklärt – ob vom inneren Monolog oder durch einen Fehlschluss. "Es könnte genauso gut sein, dass Menschen mit Halluzinationen versuchen, die beste Erklärung zu finden, wenn durch Annahmen sensorischer „Lärm" entsteht “, sagt Phil Corlett.

Ob man sie genauso leicht abtrainieren wie antrainieren kann, müsse man erst erforschen, meint Al Powers. Vor allem für die Diagnose von Psychosen könnte das Ergebnis aber interessant sein. Heute sei es schwierig, schon früh festzustellen, welche Symptome wirklich in Richtung Psychose gehen, sagt der Psychiater Al Powers. Wenn man mehr derartige Hinweise auf auffällige Gehirnaktivierung findet, könnte man vielleicht bessere Diagnosemöglichkeiten entwickeln.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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