Studie: Krebstherapien sind zu teuer

Moderne Krebstherapien kosten pro Patient teils Hunderttausende Euro. Sind derart hohe Preise gerechtfertigt? US-Forscher haben nun nachgewiesen: Die Entwicklung neuer Medikamente ist keineswegs so kostspielig wie von der Industrie behauptet.

Eine neue Ära, ein historischer Schritt - mit diesem Worten wurde Ende August die Zulassung einer neuartigen Krebstherapie durch die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) bedacht. „Kymriah“, so der Name der vom Konzern Novartis entwickelten Therapie, verwendet im Gegensatz zu bisherigen Ansätzen ein „lebendiges Medikament“, nämlich gentechnisch modifizierte T-Zellen, die im Körper des Patienten Jagd auf Tumorzellen machen. Das funktioniert, wie klinische Versuche zeigen, vor allem bei Leukämie und Lymphdrüsenkrebs bestens - und möglicherweise auch bei ganz anderen Krebsarten, etwa Brust-, Eierstock- und Lungenkrebs.

Eine neue Ära wurde mit Kymriah allerdings auch in finanzieller Hinsicht eingeläutet. Eine Injektion mit den genetisch maßgeschneiderten T-Zellen kostet 470.000 US-Dollar. Laut Prognosen von Finanzanalysten hätte der Preis sogar noch höher liegen können. Novartis-Chef Joseph Jimenez fand für die Preisgestaltung die schlichten Worte: „Hätten wir nicht investiert, bliebe dem Patienten keine Wahl.“

Das Innovationsargument

Das blieb nicht unwidersprochen. Die US-Patientenorganisation „Patients for Affordable Drugs“ bezeichnete die Therapiekosten als „exzessiv“ und verwies auf die staatlichen Förderungen in der Größenordnung von 200 Millionen US-Dollar, die Novartis für die Entwicklung der Therapie erhalten habe.

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Dieses Ritual wiederholt sich bei Zulassung neuer Medikamente in den USA und in Europa ein ums andere Mal. Wenn die staatlichen Gesundheitssysteme unter der Last steigender Ausgaben an ihr Limit geraten, argumentieren die Pharmakonzerne immer entlang dieser Linie: Die teils exorbitanten Preise für neue Medikamente und Therapien seien notwendig, um die hohen Entwicklungskosten zu decken. Lägen diese niedriger, würde das Innovationen abwürgen. Modernste Behandlungen wären dann - weil unrentabel - schlicht nicht möglich.

Kosten schnell eingespielt

Forscher um Sham Mailankody vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York haben sich nun angesehen, ob dieses Argument eine Grundlage hat. Fazit der Analyse: Das ist zumindest im Bereich der Krebsforschung nicht der Fall.

Die Entwicklungskosten liegen - inklusive Fehlschläge - zwar im Bereich von mehreren hundert Millionen Dollar. Doch die Einnahmen kompensieren das meist innerhalb weniger Jahre. Summa summarum ist das Investment im Vergleich zu den Gewinnen klein. Dass der medizinische Fortschritt infolge moderaterer Preisgestaltung gefährdet sei - dafür gebe es keine Anzeichen.

Zehn Krebsmedikamente hat Mailankody in seiner Studie unter die Lupe genommen. Darunter etwa der monoklonale Antikörper Eculizumab, mit Jahrestherapiekosten von bis zu 600.000 Euro eines der teuersten Medikamente der Welt. Die analysierten Präparate stammen allesamt von kleinen Pharmafirmen - und das hat seinen Grund: Denn die Innovationen in der Branche entstehen heutzutage meist ebendort, die großen Konzerne indes verlegen sich zusehends aufs Einverleiben von Start-ups. Laut „Wall Street Journal“ gelangen mittlerweile 70 Prozent der neuen Produkte auf diesem Weg auf den Markt.

Wie Mailankody im Fachblatt „JAMA Internal Medicine“ schreibt, dauerte die Entwicklung der analysierten Krebsmittel im Schnitt 7,3 Jahre, die Kosten beliefen sich auf 648 Millionen Dollar. Dem standen bis Jahresende 2016 Einkünfte von 6,7 Milliarden Dollar pro Medikament gegenüber (alle Angaben Durchschnittswerte).

Kleiner Ausschnitt der Branche

Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) sieht angesichts der Studienergebnisse keinen Grund, die gegenwärtige Praxis zu überdenken. Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber sagt gegenüber science.ORF.at: „Die Industrie forscht derzeit weltweit an 7.000 Molekülen. Diese Studie stellt nur einen kleinen Ausschnitt dessen dar, was tatsächlich stattfindet.“ Dass die zehn Produkte nicht für die gesamte Pharmabranche repräsentativ sein können, gesteht auch Mailankody zu. Die Zahlen seien nicht per se auf andere Bereiche übertragbar.

Gleichwohl: Wie der Medizinjournalist Merrill Goozner in einem Kommentar zur Studie hinweist, lassen sich durchaus analoge Beispiele aus anderen Fächern finden. Die Entwicklung des heute etablierten Hepatitis-C-Medikaments Sofosbuvir etwa kostete bis zur Phase zwei der klinischen Studien 315 Millionen Dollar, teils aus staatlichen Mitteln stammend.

Die verantwortliche Firma, das Start-up Pharmasset, wurde 2011 von Gilead Sciences um elf Milliarden Dollar aufgekauft. Im ersten Quartal 2017 lagen die Umsätze mit Sofosbuvir bei 2,6 Milliarden Dollar. Die Entwicklungskosten wurden auch hier rasch eingespielt.

„Wollen keine Therapien für Reiche“

Ob die gegenwärtigen Preise für Therapien gerechtfertigt sind oder nicht - diese Frage könne die Ärzteschaft nicht beantworten, das sei vielmehr Sache der Politik bzw. der Gesellschaft, betont Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe.

„Was mich in diesem Zusammenhang extrem überrascht, ist die Tatsache, dass es in der Welt enorme Unterscheide gibt: Medikamente sind in den USA mitunter doppelt so teuer wie in Europa. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist.“ Klar sei: Therapien, die nur Reichen zu Verfügung stehen, seien keine Option für die Solidargemeinschaft, so Sevelda. „Das würde den ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns widersprechen.“

Goozner resümiert in seinem Kommentar: „Die Politik kann die Preise für Medikamente beschränken - und muss sich keine Sorgen machen, dass sie mit diesem Schritt Innovation abwürgen würde.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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