Wie der „Befreier Wiens“ zur Bedrohung wurde

Er bezwang die Osmanen, wurde gefeiert, gefürchtet und politisch vereinnahmt: Das historische Bild des Polenkönigs Jan III. Sobieski hat sich im Laufe der Jahrhunderte mehrfach gewandelt. Eine Tagung in Wien spürt nun den dahinter stehenden Motiven nach.

„Jede Epoche schreibt ihre eigene Geschichte“, sagt Johannes Feichtinger vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dies gelte auch für die Historisierung des Polenkönigs Jan III. Sobieski:

Tagung & Ausstellung

„Jan III. Sobieski - polnischer Nationalheld und Sieger von Wien. Geschichte, Nachleben und Verklärung“: Akademie der Wissenschaften, 19. bis 20. September 2017.

Die Ausstellung „Jan III. Sobieski. Ein polnischer König in Wien“ des Belvedere ist noch bis 1. November im Winterpalais zu sehen.

Im März 1683 hatten sich Habsburger-Kaiser Leopold I. und König Sobieski mit einem Vertrag verpflichtet, einander im Bedrohungsfall militärischen Beistand zu leisten. Sobieski kam daher wenige Monate später mit seinen Truppen dem von den Osmanen belagerten Wien zu Hilfe und führte in Abwesenheit des Kaisers, der aus der Stadt geflohen war, bei der Schlacht am Kahlenberg am 12. September den Oberbefehl über das gesamte Entsatzheer.

Wandelbare Deutungen

Der siegreiche König wurde laut Zeitzeugen in Wien herzlich empfangen, als er am 13. September in die Stadt einzog. Diese positive Einstellung halte sich bis heute bei der Wiener Bevölkerung, so Feichtinger. Anders verhielt es sich in der Geschichtsschreibung: Nachdem im 18. Jahrhundert die Territorien des Polnisch-Litauischen Reiches auf Preußen, das Russische und das Habsburgische Reich aufgeteilt wurden, habe sich seine Rolle in der Darstellung österreichischer Historiker verschlechtert.

Ölbild des Polenkönigs Sobieski

National Museum in Warsaw

Daniel Schultz d.J., Jan III. Sobieski (1629–1696).

Dies hänge mit dem Erstarken nationaler Bewegungen zusammen, die eine Bedrohung für die Donaumonarchie darstellten: „Im 19. Jahrhundert wurde Sobieski von polnischen Nationalisten zur Identifikationsfigur erhoben“, erklärt Feichtinger. Für Österreich-Ungarn, das über Galizien und Krakau herrschte, galt es hingegen, die Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterdrücken, und das Bild, das Historiker von Sobieski zeichneten, verschlechterte sich massiv. Feichtingers Fazit: „Sobieski wurde zum Spielball von unterschiedlichen Nationalismen.“

„Polnischer König durfte keine Rolle spielen“

Auch nach dem Zerfall der Donaumonarchie sei Sobieskis Leistung bei der Schlacht am Kahlenberg von Historikern zunehmend geschmälert worden, in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg habe man ihm sogar jede Bedeutung abgesprochen: „Damals war der Aufbau eines Österreich-Bewusstseins wichtig. Da Polen in den 1950er Jahren unter stalinistische Herrschaft geraten war, durfte ein polnischer König in der österreichischen Geschichte keine Rolle mehr spielen“, sagt Feichtinger.

Ölbild des Polenkönigs Sobieski

Warschau, Königsschloss – Museum

Porträt Jans III. zu Pferd, um 1704.

Zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen kam es nach Niederschlagung der Solidarnosc-Bewegung 1981 und der daraufhin einsetzenden Flucht vieler Polen nach Österreich. Erst zum 300. Jahrestag der Schlacht am Kahlenberg 1983 sei es wieder zu einer Annäherung gekommen. Man habe damals die integrative Funktion der gemeinsamen Geschichte genutzt, um die freundschaftlichen Beziehungen zu betonen, erklärt der Historiker.

Bis heute politisch vereinnahmt

Sobieski sei ein Beispiel für die Funktionalisierung einer historischen Figur, deren politische Vereinnahmung auch zu einem globalen Phänomen geworden sei, so Feichtinger. Seit dem 11. September 2001 werden auf rechtsextremen Internet-Seiten Bilder des Feldherrn zu Pferde vor den einstürzenden Türmen des World Trade Center gezeigt und Sobieski als „Retter des Abendlandes“ dargestellt. Auch in Österreich vereinnahmen die rechtsextremen „Identitären“ den Polenkönig, etwa mit T-Shirts mit dem Aufdruck „Spirit of 1683“ oder erst kürzlich mit einer Kundgebung auf dem Kahlenberg.

Mit historischen Fakten hätten diese Interpretationen nichts zu tun: „Bei dem Krieg gegen die Osmanen standen sich zwei Dynastien mit unterschiedlichen geostrategischen und ökonomischen Interessen gegenüber“, so der Historiker. „Die Vorstellung eines Religions-oder Zivilisationskrieges wird wie so oft nur vorgeschoben, am 12. September 1683 fiel jedenfalls keine Entscheidung über die Herrschaft von Kreuz oder Halbmond in Zentraleuropa.“ Aufseiten des Habsburger-Reiches hätten Katholiken, Protestanten und ausländische Kontingente gekämpft, unter den Osmanischen Besatzern sei zwar ein entscheidender Teil muslimischen Glaubens gewesen, aber auch viele Christen.

„Da Sobieski auch heute noch als Figur für radikale Ideen dient, ist es wichtig, seine Darstellung wissenschaftlich zu reflektieren und gemeinsam zu verhandeln“, betont Feichtinger. „Denn Geschichtsschreibung ist immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse.“

science.ORF.at/APA

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