Mehr Wahrheit, weniger Aufregung

Statistiken können informieren, oft tun sie jedoch das Gegenteil. Wie man mit diesem Problem in Zeiten von „Fake News“ umgeht, untersucht Simon Hadler in seinem neuen Buch. Darin stehen neben klassischen Infografiken auch wissenschaftliche Studien auf dem Prüfstand.

Wer heute eine Zeitung in die Hand nimmt oder Soziale Netzwerke durchforstet, findet genug „Fakten“, die einen in helle Aufregung versetzen können. Doch vieles davon ist missverständlich, einiges schlicht falsch. Deswegen sollte man lernen, was man getrost ignorieren kann und wie man diesen „Bullshit“ identifiziert, sagt der Journalist Hadler, Redakteur bei ORF.at. Die Anleitung dafür liefert er in „Wirklich wahr! Die Welt zwischen Fakt und Fake“.

Buchcover

Deuticke Verlag

Buchhinweis

Simon Hadler: „Wirklich wahr! Die Welt zwischen Fakt und Fake“. Deuticke, 272 Seiten, 22,70 Euro.

Der Autor

Simon Hadler, geboren 1976 in Wien, studierte Kommunikations-, Politikwissenschaft und Kulturanthropologie mit Schwerpunkt Migration in Wien und Lissabon. Seit 1999 ist er Redakteur bei ORF.at, seit 2009 leitender Kulturredakteur.

„Bullshit“ identifizieren und ignorieren

„Bullshit“, das sind die „Fake News“, die uns aufregen, verärgern und verschrecken, weil wir zu spät oder gar nicht bemerken, dass es eben Falschmeldungen sind. Diese zu entlarven ist auch gar nicht so einfach - weder für jene, die mit dem Internet und Sozialen Netzwerken aufgewachsen sind, noch für jene, die sich den Zugang zu diesen Informationskanälen erst erarbeiten mussten.

„Für die jungen Generationen schaut es laut mehreren Studien recht düster aus“, so Hadler. Viele hätten große Schwierigkeiten, „Fake News“ von echten Meldung zu unterscheiden bzw. Werbeanzeigen von tatsächlichen Treffern bei einer Google-Suche. Deswegen setzt sich der Autor auch für Medienkunde als Pflichtfach in Schulen ein. Das sei notwendig, wenn man Bürgerinnen und Bürger wolle, die ihre demokratischen Rechte und Pflichten verantwortungsvoll wahrnehmen, heißt es dazu in Hadlers Buch.

Wirkung steht im Vordergrund

Dass Hadler den Begriff „Bullshit“ gewählt hat, um „alternative Fakten“ zu entlarven, hat einen guten Grund. Er bezieht sich dabei auf den US-amerikanischen Philosophen Harry G. Frankfurt. Der hat 2005, im Alter von 76 Jahren, seinen Essay „On Bullshit“ verfasst. Nach Frankfurt teilt sich die Menschheit in drei Gruppen auf: die Wahrheitssucher, die Lügner und die „Bullshitter“.

Letztere wenden sich der Wahrheit weder bewusst zu oder von ihr ab, sie ist ihnen einfach egal. Ihnen geht es ausschließlich um die Wirkung ihrer Aussagen. Das reicht von politischen Propagandisten bis zu Werbemenschen und Medienmachern. Sie wollen ihre Produkte verkaufen und nicht die Wahrheit in die Welt tragen.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag in der Ö1-Sendung Kontext - Sachbücher und Themen, 22.9., 9.05 und 22.23 Uhr.

Grönland ist nicht so groß wie Afrika

Neben einem 60 Seiten langen Essay über den Umgang mit Fakten und Falschmeldungen versammelt Hadler 80 interessante Beispiele, die er mit pointierten Illustrationen von Stefan Rauter anschaulich macht: Statistiken, in denen die Zahlen nicht zusammenpassen, wissenschaftliche Studien, die gekauft wurden, und Infografiken, die ein verzerrtes Bild der Tatsachen liefern.

Eine der bekanntesten problematischen „Infografiken“ ist die Weltkarte. Auf der sind Grönland und der gesamte afrikanische Kontinent annähernd gleich groß. Grund dafür ist die Krümmung der Erdkugel, die in zweidimensionaler Darstellung zu dieser Verzerrung führt. weil Afrika in der Mitte dieser Karte liegt, wird es viel kleiner dargestellt, als es tatsächlich ist. Eigentlich umfasst Grönland nur 2,2 Millionen Quadratkilometer, Afrika misst dagegen mehr als 30 Millionen Quadratkilometer.

Lobbyisten als Experten

Hadler bringt auch einige Beispiele, die journalistische Fehler entlarven, etwa in der Wissenschaftsberichterstattung. Gerade Lobbyisten der Nahrungsmittelindustrie würden immer wieder, getarnt durch Vereine, als Ernährungsexperten zitiert. So erklärte eine Vertreterin des Forums Ernährung in einer österreichischen Tageszeitung, dass es keinen Zusammenhang zwischen Übergewicht und dem Konsum von Süßigkeiten gebe.

Grafik: Scheidungsrate und Margarine-Verbauch

Deuticke Verlag

In einem anderen Beispiel zeigt der Journalist, dass man auch nicht jede statistische Korrelation ernst nehmen sollte. Denn nicht alles, was rechnerisch passt, gehört auch zusammen. Wie jener Zusammenhang, den der US-amerikanische Wissenschaftler Tyler Vigen zufällig entdeckt hat: Der Pro-Kopf-Margarine-Verbrauch in den USA und die Scheidungsrate im Bundesstaat Maine entwickeln sich seit zehn Jahren exakt gleich.

Bewusst gegen „Bullshit“ entscheiden

Hadler geht es nicht nur darum, Falschmeldungen entlarven zu können. Die Menschen müssten auch entscheiden, wie viel „Bullshit“ sie sich tagtäglich zu Gemüte führen. „Wer jeden Tag die Gratiszeitungen in der U-Bahn liest, die laufend über vermeintliche Skandale und Gefahren berichten, wird davon nicht unberührt bleiben“, so Hadler. Bei Themen, die unser Leben nicht direkt beeinflussen, sollte man nicht gleich in den Erregungsmodus schalten.

„Ein bisschen Entspannung, bevor man sich echauffiert und bevor man sich sein eigenes Leben beeinträchtigen lässt von den Fakten da draußen, das wäre momentan angesagt“, so Hadler. Gleichzeitig sollte man sich engagieren, und zwar dort, wo es sich auszahlt, weil wir wirklich etwas ändern können - etwa, wenn es um den Klimawandel geht. „Aber das ist natürlich anstrengender, weil man tatsächlich das eigene Verhalten ändern muss, anstatt nur einen wütenden Kommentar auf Facebook zu hinterlassen.“

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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