Lokalgeschichte der „vertriebenen Nachbarn“

Zum Jahrestag der Novemberpogrome vom 9. November 1938 werden heute Abend in St. Pölten die Ergebnisse eines Forschungsprojekts vorgestellt: Historiker unterstützten dabei Bürgerinnen und Bürger beim Erkunden der lokalen NS-Geschichte.

Ein Nazi-Abzeichen mit Hakenkreuz – ausgegraben im eigenen Garten, beim Umsetzen des Ribiselstrauchs. Oder: Mehrere Schachteln mit Fotografien, Briefen, Anstecknadel und Tagebuchaufzeichnungen – entdeckt beim Aufräumen des Dachbodens.

Rein zufällig sind zwei Niederösterreicherinnen bei sich zu Hause auf verschiedene Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus gestoßen. Historikerinnen und Historiker des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (INJÖST) haben sie bei Recherchen dazu unterstützt, darunter Philipp Mettauer:

„Der großartigste Fund war von einer Teilnehmerin aus Wilhelmsburg, das ist eine Kleinstadt bei St. Pölten. Sie hat ein Haus gekauft und am Dachboden Kisten und Schachteln gefunden, die unter anderem Überlieferungen von der Vorbesitzerin enthielten.“

Zufallsfunde und ihre Einordnung

Die Funde einzuordnen war zunächst schwierig waren. Denn einerseits handelte es sich dabei um NS-Devotionalien und andererseits gab es Hinweise auf eine jüdische Familiengeschichte. Gemeinsame Archivrecherchen und das Lesen der Tagebuchaufzeichnungen brachten Klarheit: Die frühere Hausbesitzerin galt laut NS-Ideologie als sogenannte „Halbjüdin“ und konnte – trotz rassistischer Diskriminierung - überleben.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 9.11., 13:55 Uhr.

Ihr Tagebuch zeugt unter anderem davon, dass sie von der Wehrmacht begeistert war. „Das war zunächst verstörend. Dann aber kommt es in den Aufzeichnungen oft zu kleinen Brüchen. Ein Beispiel: Es heißt, sie fährt jetzt nach St. Pölten in den Privatunterricht. Und dann bedarf es Hintergrundwissens: So genannte „ Mischlinge Ersten Grades“ waren in der NS-Zeit vom öffentlichen Unterricht ausgeschlossen“, so Philipp Mettauer.

Noch ein Beispiel: Eine andere Teilnehmerin fand ein Nazi-Abzeichen in ihrem Obstbeet. Recherchen zeigten, dass dort einst eine Siedlung für SA-Mitglieder errichtet worden war. Die SA war die paramilitärische Organisation der NSDAP.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft

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