Wie der Mensch die Welt eroberte

„Out of Africa“ - so heißt eine Theorie, die den Aufbruch des modernen Menschen in Richtung Europa und Asien beschreibt. Neue Knochenfunde deuten auf ein anderes Szenario hin: Der Exodus begann viel früher als gedacht.

Dass unsere Vorfahren aus Afrika stammen, steht bis heute außer Zweifel. Debattiert wird indes die Frage, wann und wie der Homo sapiens den afrikanischen Kontinent verließ. Das klassische Modell beschreibt die Eroberung der Welt als einmaliges Ereignis, als Wanderung, die vor 60.000 Jahren ihren Ausgang nahm.

Davon bleibt laut einer aktuellen Studie im Fachblatt „Science“ nicht viel übrig. Beziehungsweise kommt einiges hinzu, denn der Aufbruch zu neuen Kontinenten fand in mehreren Wellen statt. Ein überraschendes Detail: Australien erreichte der moderne Mensch offenbar deutlich früher als Europa. Die neuen Erkenntnisse werfen einige Fragen auf:

Wie alt ist der moderne Mensch?

Bis vor kurzem galten Knochenfunde in Omo Kibish und Herto, beide in Äthiopien, als die ältesten Relikte unserer Art. Sie sind 195.000 bzw. 160.000 Jahre alt. Doch im Juni berichteten Forscher von einer spektakulären Entdeckung: In Djebel Irhoud, einer Karsthöhle nordwestlich von Marrakesch, stießen sie auf menschliche Kiefer, Zähne und Knochen. Ihr Alter: 300.000 Jahre.

Menschlicher Schädel

Smithsonian Natural History Museum

Der erste unserer Art: Schädel aus Djebel Irhoud

Das erweitert den Horizont beträchtlich, auch in geografischer Hinsicht: Dachte man früher, dass die Menschheit in Ostafrika entstanden sei, so wird nun klar, dass sich der moderne Mensch bereits in Urzeiten bis in den nordafrikanischen Raum ausgebreitet hatte. Und wohl auch in den Süden des Kontinents, wie Fossilfunde aus Florisbad, Südafrika, nahelegen. Womit der Begriff „Wiege der Menschheit“ seinen ursprünglichen Sinn verliert. Eine regional begrenzte „Wiege“ gab es allem Anschein nach nicht. Und wenn es sie gab, dann umfasste sie den ganzen Kontinent.

Out of Africa - einmal oder öfter?

Der Exodus im Singular hat ausgedient: In der Frühzeit des Menschen ereigneten sich nämlich mehrere Migrationswellen in Richtung Norden, die früheste wohl bereits vor mehr als 120.000 Jahren. Ansonsten könnten Forscher die Gegenwart der ältesten menschlichen Fossilien in China - sie sind 70.000 bis 120.000 Jahre alt - nicht erklären. Gleichwohl haben diese Pioniergruppen wenig Spuren in unserer DNA hinterlassen, sagt Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Autor der jüngsten Studie in „Science“.

Das Gros unserer Gene stammt von jenen Menschen, die am „klassischen“ Auszug aus Afrika vor rund 60.000 Jahren beteiligt waren. Diese Wanderungsbewegung war wohl die wichtigste und zahlenmäßig umfangreichste.

Wanderungen von Homo sapiens

Bae et al. Science 2017 / Katerina Douka, Michelle O'Reilly

Out of Africa: Die Wanderung erfolgte auf Raten

Und danach? Die Eroberung des eurasischen Kontinents ging langsam vor sich, jedenfalls nicht so zielgerichtet, wie man sich das einst vorgestellt hat. In Australien kam der Mensch etwa vor rund 65.000 Jahren an, in Europa erst vor 43.000 Jahren - und das, obwohl Europa vom Nahen Osten aus betrachtet quasi „ums Eck“ liegt.

„Natürlich hätte Homo sapiens schon früher die Möglichkeit gehabt, Europa zu besiedeln. Doch er tat es nicht“, sagt Petraglia. „Das hat vermutlich damit zu tun, dass Europa zu dieser Zeit bereits von den Neandertalern bevölkert war. Australien war hingegen menschenleer.“

Auf welchem Weg verließ der Mensch Afrika?

Im Prinzip gab es zwei Routen, entlang derer der moderne Mensch nach Asien vorstieß. Die eine verläuft über Nordägypten zur Halbinsel Sinai und von dort aus in die Levante; die andere über das Horn von Afrika zur arabischen Halbinsel. Bei letzterer gibt es allerdings keine direkte Landverbindung. Daraus folgt: Die Menschen verwendeten wohl Boote, um die Meeresenge zu überqueren.

„Man darf nicht vergessen, dass Arabien zwischen 70.000 und 120.000 Jahre vor unserer Zeit voller Flüsse und Seen war. Die Region bot zu dieser Zeit sehr günstige Lebensbedingungen. Wir haben dort sogar Fossilien von Nilpferden entdeckt “, sagt Petraglia. „Wenn sich Kreaturen wie Hippos bis nach Arabien bewegen konnten, hat es mit Sicherheit auch der Mensch geschafft.“

Wer hatte Sex mit wem?

Die kurze Antwort: jeder mit jedem. Dass Homo sapiens und Neandertaler miteinander Nachkommen gezeugt haben, ist schon länger bekannt. Diese urzeitliche Liaison hat Spuren in unserem Erbgut hinterlassen. Die menschliche DNA - Afrikaner ausgenommen - enthält 2,5 bis vier Prozent Neandertaler-typische Sequenzen. Das ist nicht die einzige Spur dieser Art. Melanesier etwa tragen bis zu fünf Prozent DNA des sogenannten Denisova-Menschen in ihrem Körper - eine neue Menschenart, die erst 2008 in Sibirien entdeckt wurde.

Eingang zur Denisova-Höhle in Südsibirien

MPI for Evolutionary Anthropology

Fundort einer neuen Menschenart: Eingang zur Denisova-Höhle in Südsibirien

Laut einer Studie im Fachblatt „Nature“ kam es auch zwischen Neandertalern und Denisovanern zu Intimitäten. Langsam wird die Lage unübersichtlich, denn Forscher schließen nicht aus, dass auch Homo erectus in Urzeiten genetisch mitgemischt hat.

Warum starben unsere Verwandten aus?

Vor 60.000 Jahren lebten mindestens vier verschiedene Menschen neben- oder sogar zeitweilig miteinander. Nebst Homo sapiens die erwähnten Neandertaler und Denisovaner, in Ostasien noch der Flores-Mensch vulgo „Hobbit“ sowie eventuell auch späte Vertreter des Homo erectus. Erbgutanalysen deuten noch auf die Existenz einer weiteren - und bisher namenlosen - menschlichen Art hin.

Fakt ist: Bis auf unsere Art starben sie alle aus. Am längsten hielt noch der Neandertaler in Südeuropa durch, er verschwand vor 30.000 Jahren von der Bildfläche.

Warum sind wir nunmehr alleine? „Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage“, sagt Petraglia. Der amerikanische Archäologe vermutet, die überlegene Anpassungsfähigkeit des Homo sapiens könnte den anderen Arten zum Verhängsnis geworden sein.

Das ist nur eine von vielen Hypothesen. Der moderne Mensch könnte seine Konkurrenten auch schlicht durch seine explosive Vermehrung verdrängt haben. Oder ihnen - wie im Fall des Flores-Menschen vermutet - einfach die Lebensgrundlage durch Ausrottung von Beutetieren entzogen haben. Der israelische Historiker Yuval Harari vermutet gar: Das Ende der anderen Menschenarten war ein gewaltsames, der Aufstieg des modernen Menschen begann mit einem Genozid.

Robert Czepel, science.ORF.at

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