Das Geschlecht beeinflusst Experimente

Kinder schneiden bei IQ-Tests besser ab, wenn sie von Frauen geleitet werden, männliche Testleiter motivieren dafür eher zu sportlichen Leistungen: Dass ihr Geschlecht die Ergebnisse von Studien beeinflusst, sollte stärker berücksichtigt werden, fordern nun Forscher.

Wissenschaftliche Artikel kommen eigentlich immer mit einem Methodenteil – einer Art Anleitung, wie die Studie abgelaufen ist und auch nachgemacht werden könnte. Denn Reproduzierbarkeit bzw. Wiederholbarkeit gilt als wichtiges Prinzip in der wissenschaftlichen Praxis.

Die Studie

„Experimenter gender and replicability in science“, Science Advances, 10.1.2018

Nur: Bei ganz vielen Studien funktioniert es dann nicht so gut - was auch einem neurowissenschaftlichen Forscherteam der Universität Uppsala in Schweden aufgefallen ist. Viele Faktoren spielen dabei eine mögliche Rolle, von der Tageszeit bis zum Wetter, aber auch wer die Testpersonen durch die Versuchsreihen begleitet: Altersunterschiede zwischen Versuchsleiter und Studienteilnehmern könnten genauso wie die Größe und nicht zuletzt das Geschlecht der Experimentatoren je nach wissenschaftlicher Fragestellung das Ergebnis sogar verzerren. Gemeinsam haben all diese Faktoren, dass sie im Methodenteil von Studien meist nicht aufgezeichnet sind und dass selbst die wichtigsten wissenschaftlichen Journale das auch nicht verlangen.

Nervöse Tiere und tapfere Männer?

Herausgegriffen haben sich die Forscher aus Schweden das Geschlecht der Versuchsleiter und Probanden, weil es leicht und in klaren Kategorien vermerkt werden könnte (statt auf einer relativen Skala wie beim Altersunterschied oder einer Vielzahl an Möglichkeiten bei Tages- oder Jahreszeit) und weil die Idee auch in der Praxis aufgekommen ist, wie Christian Benedict, Schlafforscher an der Universität Uppsala, gegenüber science.ORF.at erklärt. Bei der Arbeit hätte man bemerkt, dass Männer bei Studien zur Schlaflosigkeit weiblichen Versuchsleiterinnen scheinbar länger erzählen, es gehe ihnen noch immer gut. Dazu kam, dass 2015 eine großangelegte Studie zur Wiederholbarkeit von psychologischen Experimenten nur bei etwas mehr als einem Drittel der Wiederholungen zum selben Ergebnis kam, was Benedict und seinen Kollegen noch in Erinnerung war.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 11.1. um 13:55

Schnell fanden die Forscher einen Artikel, der zeigt, dass sogar Versuchstiere allgemein gestresster reagieren, wenn Männer sie aus Laborkäfigen holten, als wenn Frauen das tun. „Und das sind wirklich so gut kontrollierte Umfelder, wie man es sich nur vorstellen kann, jeden Tag gleiches Licht, gleiche Ernährung“, sagt Christian Benedict, weit entfernt also von den sehr unterschiedlichen Versuchsumfeldern bei den meisten Studien mit Menschen. Für die jetzt publizierte Übersichtsstudie durchforsteten die schwedischen Forscher die existierende wissenschaftliche Literatur zum Thema und fanden genügend Hinweise darauf, dass sich das Geschlecht von Versuchsleitern auch bei Experimenten mit Menschen auswirken kann.

Schwierige Korrelation

Wie und wie sehr ist nicht leicht zu sagen, viele andere Faktoren dürften mitspielen – nicht zuletzt kulturelle. Und es gibt bisher nicht besonders viele Studien zum Thema. Aber ein messbarer Effekt zeigt sich quer durch die Wissenschaft, egal ob sie Geist, Körper oder Soziales untersucht. So schienen beispielsweise IQ-Tests (bei Kindern) bessere Ergebnisse zu bringen, wenn Frauen sie leiten, während männliche Versuchsleiter bei Aufgaben zum kreativen Problemlösen schnellere Lerneffekte anzuregen scheinen.

Sportliche Leistungen könnten sich verbessern, wenn Männer Testpersonen beobachten, aber vielleicht auch, wenn es jeweils gegengeschlechtliche Versuchsleiter tun. Männliche Testpersonen wiederum scheinen gegenüber weiblichen Experimentatoren in autobiographischen Erfahrungsberichten eher Details aus ihrem Gefühlsleben preiszugeben, gleichzeitig scheint ihre Schmerzgrenze zu steigen, wenn der Versuch von einer Frau begleitet wird.

Manchmal zeigen sich deutlichere Effekte bei jeweils gegengeschlechtlichen Experimentatoren – vor allem natürlich in Studien zum Sozial- oder Sexualverhalten. Nicht immer scheint der Effekt aber so einfach gelagert: Eher unsichere Männer und weniger unsichere Männer reagierten auf weibliche Versuchsleiterinnen bei Experimenten zum Lernen jeweils unterschiedlich.

Mehr Forschung, mehr Transparenz

Die Auswirkungen sind also komplex, aber sie sind wohl da. Wenn auch vieles an vielleicht genauso wichtiger Kontextinformation zu Persönlichkeit, Attraktivität oder Sympathie fehlt, um das gesamte Versuchsumfeld ausreichend nachzubauen. Damit anzufangen, wenigstens ein grundlegendes „M“ oder „W“ aufzuzeichnen, wäre aber relativ leicht, meint Christian Benedict, der mittlerweile in seinen Studien immer Informationen dazu anführt.

Nach einem ersten Kommentar zum Thema erreichten ihn aber auch Briefe, die den Vorschlag ablehnten, mit der Sorge, plötzlich dürften dann entweder nur noch Frauen oder nur noch Männer Experimente durchführen. „Darum geht es aber nicht“, betont Christian Benedict, ganz im Gegenteil soll das vor allem die Vielfalt abbilden. So stößt man vielleicht auf unerwartete Effekte und - ganz im grundlegenden Sinne von Forschung - kann neues Wissen entstehen.

Wahrscheinlich lassen sich auch nicht alle Experimente genau wiederholen, aber Benedict wünscht sich jedenfalls mehr Transparenz in der Wissenschaft, damit man mögliche Störeffekte erkennen kann. Und mehr Forschung zu diesen bis dato als nebensächlich betrachteten Umgebungsfaktoren, damit man zumindest andenken kann, dass ein bestimmtes Ergebnis davon beeinflusst sein könnte. Der Aufruf geht einerseits an alle Forschungstreibenden, aber vor allem an wissenschaftliche Journale und Geldgeber, die entsprechende Informationen einfordern können, um so letztendlich die Wissenschaftskultur ein kleines bisschen zu verändern.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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