Warum die Worte für Gerüche fehlen

Wie riecht eine Orchidee? Oder wilder Maniok? Die meisten Menschen fänden wohl kaum die passenden Worte - Jäger und Sammler im malaysischen Regenwald hingegen schon: Sie verwenden für Gerüche präzise Begriffe. Das liegt an ihrer Lebensweise.

Wenn man von „blau“, „braun“, „grün“ oder „rosa“ spricht, wissen alle, was gemeint ist. Bei der Bezeichnung von Gerüchen tun sich die allermeisten Menschen etwas schwerer - außer es handelt sich um professionelle Parfümeure oder Sommeliers. Entweder verwendet man recht allgemeine Oberbegriffe wie „streng“ und „wohlriechend“ - dahinter können aber komplett unterschiedliche Nuancen stecken - oder man behilft sich mit Analogien: „wie eine Zitrone“, „wie Schokolade“ und „wie ein nasser Hund“. Auch das ist nicht unbedingt eindeutig bzw. allgemein verständlich.

Die Studie

„Hunter-Gatherer Olfaction Is Special“ (sobald online), Current Biology, 18.1.2018

Als „stummer Sinn“ wird der Geruchssinn deswegen manchmal bezeichnet. Eine Erklärung dafür: Der Mensch könne einfach nicht besonders gut riechen. Im Lauf der Evolution habe sich der Sehsinn immer weiter entwickelt, zuungunsten des Geruchssinns - und was man nicht riechen kann, darüber muss man schweigen.

Lexikon für Gerüche

Vor wenigen Jahren tauchten allerdings Zweifel auf. Es könnte auch an der Sprache bzw. an der Kultur liegen, dass für Gerüche oft die passenden Worte fehlen. Linguisten hatten entdeckt, dass es ein malaysisches Jäger-und-Sammlervolk gibt, das über ein hoch differenziertes Begriffsinventar für Gerüche verfügt.

Ein Vergleich mit englischen Sprechern zeigte: In Jahai lässt sich die olfaktorische Welt viel spezifischer beschreiben. Dabei wurden beim Test Gerüche verwendet, die westlichen Nasen durchaus vertraut sind. Offenbar handelt es sich bei den Jahai-Bezeichnungen um echte Grundbegriffe, die so eindeutig sind wie Farbtermini.

Lebensraum und Lebensweise

Auch in anderen Asli-Sprachen, die zur Austroasiatischen Sprachfamilie zählen, wurde bereits ein ähnliches Geruchslexikon identifiziert. Möglicherweise handelt es sich um ein Spezifikum dieser Sprachen. Der malaysische Lebensraum könnte ebenfalls einen Einfluss haben, genauso wie die Lebensweise der Sprecher.

Semelai Sprecherin im Experiment

Noah Azman

Forscherin Nicole Kruspe mit einer Semelai-Sprecherin bei den Experimenten

Um diese offenen Fragen zu klären, haben Asifa Majid von der niederländischen Radboud Universität und Nicole Kruspe von der schwedischen Lund Universität zwei weitere malaysische Volksgruppen besucht und ihre Sprachen verglichen: die Semaq Beri, die als Jäger und Sammler im Regenwald leben, und die Semelai, die zwar in derselben Gegend leben, aber teilweise sesshaft. Neben dem Sammeln von wilden Früchten und Wurzeln bauen sie Reis auf gerodeten Waldstücken an. Die beiden Sprachen sind außerdem sehr nahe verwandt. Sogar äußerlich sehen sich die Mitglieder beider Gruppen recht ähnlich, wie die Forscherinnen in ihrer Studie schreiben.

Verständliche Begriffe

In Experimenten sollten die Mitglieder der beiden Gruppen Gerüche und Farben benennen. 80 Farbtafeln und sechzehn Geruchsproben kamen zum Einsatz - darunter Orange, Leder, Knoblauch, Kaffee, Rose, Anis, Zimt und Fisch. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Semaq Beri hatten wie die Jahai in der früheren Studie keine Probleme damit, Gerüche genauso wie Farben exakt zu benennen.

Die Semelai agierten wie englische Sprecher: Mit Farbbezeichnungen taten sie sich leicht, aber bei der Benennung der Gerüche hatte sie größere Schwierigkeiten. Sie verwendeten Umschreibungen und Vergleiche, die aber für ihre Sprachkollegen alles andere als eindeutig waren. Bei den abstrakten Begriffen der Semaq Beri waren sich hingegen alle Sprecher recht einig.

Leben in einer Geruchswelt

Die Forscherinnen gehen davon aus, dass das differenzierte Begriffslexikon der Lebensweise als Jäger und Sammler geschuldet ist. Die Geruchswelt im feuchten Regenwald, den die Semaq Beri permanent bewohnen, ist jedenfalls sehr dicht und intensiv. Hier wachsen allein 850 verschiedene Orchideenarten. Sehen kann man hier hingegen oft nicht sehr viel, nur wenige Sonnenstrahlen schaffen es bis zum Waldboden. Im Dämmerlicht kann eine gute Nase sehr hilfreich sein.

Auch in ihrem Verhältnis zum Wald unterscheiden sich die beiden Gruppen. Mitglieder der Semaq Beri bewegen sich oft sogar allein durchs Dickicht. Bei den Semelai, deren Leben sich vor allem auf selbst angelegten Lichtungen abspielt, geht man lieber nur in Gruppen rein. Außerdem gibt es sprachliche Tabus für Gerüche des Waldes.

Bei den Semaq Beri bestimmen Gerüche dagegen das ganze Leben - in ihren Augen hat jeder einen persönlichen Geruch. Unpassende Mischungen sind unerwünscht: Im sozialen Raum müssen manche daher Abstand halten, z.B. Bruder und Schwester - sogar das Inzesttabu ist eine Geruchsregel.

Wie die Forscherinnen schreiben, ist die Unfähigkeit, über Gerüche zu sprechen, wohl nicht so universell wie lange angenommen. Die Lebensumstände dürften eine bisher unterschätzte Rolle spielen. Vermutlich gebe es noch andere Volksgruppen, die sich in Sachen Gerüche ähnlich differenziert ausdrücken können. Ob sie tatsächlich auch besser riechen können als westliche Durchschnittsbürger, bleibt allerdings offen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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