„Wir sind Ärzte, keine Politiker!“

In Zeiten, in denen die Hürden im palästinensisch-israelischen Konflikt unüberwindbar scheinen, wird die Hadassah-Klinik in Jerusalem oft als Beweis für eine friedliche Koexistenz genannt. Hier arbeiten Israelis und Palästinenser zusammen.

„Hügel der Heilung“ nennt man die Anhöhe, auf der das Krankenhaus Hadassah En Kerem im Westen Jerusalems thront. Im Eingangsbereich warten muslimische Mütter mit ihren Kindern neben orthodoxen jüdischen Patientinnen und Patienten. Die Menschen kommen aus Israel, aber auch aus den palästinensischen Autonomiegebieten zur Behandlung, oft weit angereist. Das harmonische Miteinander ist dabei kein Zufall, sondern Programm.

Die Hadassah-Klinik in Jerusalem

Ronny Tekal, ORF

Die Hadassah-Klinik in Jerusalem

Das Motto der Trägerorganisation, der „Women’s Zionist Organisation of America“, die vor über 100 Jahren von US-Amerikanerinnen gegründet wurde: „Buidling a Better World Through Medicine“. Hadassah gehört zu den größten jüdischen Frauenverbänden. Zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus aller Welt unterstützen in der zionistischen Organisation das Hadassah Medical Center in Jerusalem.

Medizinische Behandlung für alle

Die Leistung medizinischer Erste Hilfe für alle Personen - gleich welcher Herkunft - ist für ein Krankenhaus selbstverständlich. Hier soll jedoch auch die weiterführende Behandlung allen offen stehen. Zwar bezahlt das Gesundheitssystem in Israel die Therapie für die eigenen Staatsbürger – ob nun jüdischer oder moslemischer Kultur. Für Personen aus den palästinensischen Gebieten sieht dies jedoch anders aus.

Ö1-Sendunghinweise

Über die Klinik berichten am 7.2. im Rahmen des Schwerpunkts Nebenan Israel auch Wissen aktuell um 13:55 und das Gesundheitsmagazin um 16:40

Sie sind – auch wenn nur einen Steinwurf entfernt – im Grunde genommen Gesundheitstouristen und müssen für die Behandlung selber aufkommen. In Abkommen zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiebehörden wird zwar die Kostenübernahme geregelt, doch in der Praxis funktioniert das nicht immer. In der Hadassah-Klinik ist man bemüht, die Kosten in vielen Fällen zu übernehmen.

Dennoch beklagen Patientinnen und Patienten aus den Autonomiegebieten, dass durch die israelischen Sperranlagen rund um die palästinensischen Wohngebiete und die zum Teil schikanöse Kontrollen der israelischen Militärs die Anfahrt zur Klinik erschwert werde. Die Organisation Hadassah unterstützt durch die Finanzierung von Projekten wie „Physicians for Human Rights“ Krankentransporte aus den palästinensischen Gebieten.

Zudem wird in der Nahost-Klinik gefordert, dass die Gleichbehandlung für Patienten gleichermaßen wie für das Personal zu gelten hat. 4.000 Menschen arbeiten hier, unter den 850 Ärztinnen und Ärzten finden sich Mediziner mit israelischem oder palästinensischem Wohnort.

Vorzeigemodell des Friedens

Opfer des palästinensisch-israelischen Konfliktes waren die letzten Jahrzehnte auf beiden Seiten zu beklagen. Zurzeit stellen Verletzungen als Folgen militärischen Vorgehens oder Terrorattacken zum Glück die Ausnahme dar. In der Regel herrscht der medizinische Routinebetrieb einer Universitätsklinik.

Der Eingang der Klinik

Ronny Tekal, ORF

Der Eingang der Klinik

In der Zeit der zweiten Intifada (2000 bis 2005) kam es jedoch immer wieder zu bemerkenswerten Situationen, wie der aus der Schweiz immigrierte israelische Anästhesist Alexander Avidan erklärt: „Ich kann mich gut erinnern an diese Zeit, wo wir auf der Intensivstation den Terroristen in Bett zwei hatten und das Opfer in Bett drei. Einer lag neben dem anderen. Beide bekamen die gleiche Therapie. Wir waren vielleicht nicht so nett zu dem Terroristen, ihm einen guten Morgen zu wünschen, wie seinem Opfer, aber die medizinische Behandlung war gleich.“

In der Hadassah-Klinik könnte wahrscheinlich jeder der Beschäftigten eine ähnliche Geschichte erzählen – von dem palästinensischen Jungen, der eine Lunge von einem verstorbenen israelischen Kind bekam; von dem jungen Mann aus Hebron, der sich beim Versuch, eine Bombe zu basteln, die Hand wegsprengte und medizinisch versorgt wurde, wohl wissend, dass die Bombe für Israelis gedacht war und die Rechnung für die aufwendige Operation nicht bezahlt werden würde; von muslimischen Ärzten, die nach einem Anschlag um das Leben eines jüdischen Soldaten kämpften und die Menge auf der Straße „Tod den Arabern“ skandierte.

Friedensprojekt im Nahen Osten

2005 wurde das Krankenhaus für den Friedensnobelpreis nominiert, als „Beispiel für die Welt, dass Hass und Misstrauen durch das Engagement von Menschen überwunden werden könne“, wie es in der Begründung des Komitees hieß.

Doch nicht bei allen stößt dieser Ansatz auf Gegenliebe. Vor allem die Anhänger der israelischen Rechten sehen eine der Ursachen für die finanziellen Engpässe im Gesundheitssystem in der humanitären medizinischen Versorgung palästinensischer Patientinnen und Patienten. „Es gibt manchmal Kritik außerhalb vom Spital. Wir hören dann: Wieso müssen wir diese Leute behandeln?“, schildert Avidan. „Hier im Spital interessiert uns das nicht, die Leute, die diese Behandlungen ausführen. Es ist mir egal, wer das bezahlt und wo der Patient herkommt.“ Man sei schließlich Arzt und kein Politiker.

Von der anderen Seite wird kritisiert, dass die vielen positiven Berichte die Vorgehensweise des jüdischen Hadassah-Krankenhauses allzu generös und humanitär darstellen und als politische Propaganda zu werten seien. Palästinensische Ärzte, die in Hadassah ihren Dienst versehen, werden mitunter in ihren Heimatgemeinden als Kollaborateure diskreditiert. Dennoch hat das Hadassah Medical Center grenzüberschreitend einen hervorragenden Ruf – und das nicht nur aufgrund der Qualität der medizinischen Leistungen.

Ronny Tekal, Ö1-Wissenschaft

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