Forscher erkunden Leben unter ewigem Eis

Auf einer Expedition versuchen Forscher derzeit möglichst rasch einen einzigartigen Lebensraum zu dokumentieren. Der Meeresgrund unter einem davondriftenden Eisschelf bietet einzigartige Einblicke, bevor Sonnenlicht und Meereslebewesen das Ökosystem verändern.

Normalerweise dauert es drei oder vier Jahre bis man eine antarktische Forschungsexpedition geplant, finanziert und vorbereitet hat. Expeditionsleiterin Katrin Linse von der British Antarctic Survey hatte dafür kaum ein halbes Jahr Zeit – denn seit im Juli ein Stück vom Larsen Eisschelf in der Antarktis abgebrochen ist und davondriftet, tickt die Uhr.

Eisberg in der Antarktis

British Antarctic Survey

Darunter wird eine Welt freigelegt, die jahrtausendelang durch teilweise hunderte Meter dicke Eisschichten von Sonne und Wetter abgeschirmt war und sich bald grundlegend verändern wird, erklärt Linse: „Es ist fast, als hätte man eine abgeschlossene Höhle und plötzlich kollabiert sie. Plötzlich ist Licht da, und die ersten Pflanzensamen können sich ansiedeln.“

Anpassung wird unpassend

Im Meer siedeln sich dann verschiedenste Mikroorganismen und Plankton an. Einwandernde Pflanzenfresser werden dann die derzeitigen, an die extremen Bedingungen angepassten Bewohner verdrängen. Aus dem Meer um die Antarktis könnten schon jetzt Larven mit der Strömung herangespült werden. „Und wenn wir nächstes Jahr oder in zwei Jahren hinfahren, würden wir gar nicht mehr wissen, was ist die ursprüngliche Fauna und wer sind die Neubesiedler“, sagt Katrin Linse. Die Zeit drängt also.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 14.2. um 13:55

Dass nämlich etwas unter dem antarktischen Eis lebt, weiß man unter anderem aus Kameraaufnahmen der Australian Antarctic Division, die z.B. Schlangensterne , Seegurken und Flohkrebse abbildeten – wenn auch nicht so tief unter antarktischem Eis verborgen wie die jetzt aufgedeckten Gebiete.

Unbekannte Welt unter Eis

Viel weiß man nicht über die Gegebenheiten und das Leben dort: Nicht wie tief das Eis wirklich ging, nicht wie viel Wasser zwischen Meeresgrund und Eis lag, nicht welche Arten man genau erwarten kann – aber all das will man in rund drei Wochen vermessen, erkunden und einsammeln. An Bord des antarktischen Expeditionsschiffes werden Spezialisten für verschiedenste Meerestiere sein, sagt Expeditionsleiterin Katrin Linse.

Schlangensterne

British Antarctic Survey

Schlangenstern

Die Proben und Exemplare, die unter anderem mit einem schlittenartigen Gerät am Meeresgrund eingesammelt werden, können dann Aufschluss geben, was unter dem Eis überleben kann und auch wie: "Wir wollen dahin und schauen was wir finden. Wir erwarten Tiere, die ähnlich sind wie in der Tiefsee - denn die Tiefsee kriegt ja auch kein Licht und kriegt auch wenig Nahrung.“ Oft ist das Nahrung von nur minderwertiger Qualität: Verrottete Pflanzen- oder Tierreste können angespült werden, vielleicht gibt es ein paar Mikroorganismen. An die Tiefsee angepasste Tierarten – selbst harmlos wirkende Filtrierer wie Schwämme oder Muscheln - werden darum dort oft zu Räubern. Klebrige Schwämme fangen vorbeischwimmende Tiere ein, Muscheln mit starken Magenmuskeln saugen sie heran.

Außerirdische Bedingungen

Ziel ist, diesen Lebensraum und seine Nahrungskette zu verstehen. Wie solche Extrembedingungen Leben hervorbringen oder erhalten können, ist übrigens weit über das polare Eis hinaus interessant. Denn wenn sich dort Leben entwickeln kann, hätte man Anhaltspunkte, wie das auch unter Eisschichten anderswo im Sonnensystem funktionieren könnte, wie auf Jupiters Eismond Europa zum Beispiel.

Extrembedingungen der Antarktis halten auch sonst manchmal für interplanetare Gedankenspielereien her – so gelten die Antarktischen Trockentäler als auf Erden möglichster Verwandter zu den Umweltbedingungen auf der Marsoberfläche. Der Blick auf den Sternenhimmel ist vom Südpol aus also nicht nur besonders schön, sondern auch sehr aufschlussreich.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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