„MeToo“-Debatte hat US-Forschung kalt erwischt

Forscher und Forscherinnen in den USA sehen sich gerne an der Spitze der Gesellschaft, wenn es um das Erkennen von Problemen geht. Aber die Debatte um sexuelle Belästigung rund um „MeToo“ hat sie kalt erwischt – wie sich zuletzt bei einer großen Diskussion in der US-Wissenschaftsgemeinde zeigte.

Der Redebedarf ist riesig. Noch als die Diskussionsveranstaltung zum Thema „Belästigung in Wissenschaft und Technik“ eigentlich längst zu Ende sein sollte, strecken sich im Publikum immer wieder Hände in die Höhe. „Ich bin ein Mathematiker und ich habe Panik. Was kann ich denn jetzt noch machen und was nicht? Wo sind die grünen Zonen - und wo die gelben?“

Jodi Wesemann vom Verband der US-Chemiker versucht, den jungen Studenten zu beruhigen. „Keine Panik. Sei einfach offen. Ohne eine offene Diskussion können wir bei diesem Thema nicht vorankommen.“

“Nicht besser als andere Branchen“

Die „MeToo“-Bewegung gegen sexuelle Belästigung, im vergangenen Jahr ins Rollen gebracht von Hollywood und Anschuldigungen gegen Produzent Harvey Weinstein, hat längst auch die US-Wissenschaft erreicht. Mehrere Fälle sexueller Belästigung von Forscherinnen sind öffentlich geworden. Das Thema überschattete auch die jährliche weltgrößte Wissenschaftskonferenz der AAAS (American Association for the Advancement of Science), die am Montag im texanischen Austin zu Ende ging.

„Die Wissenschaft in den USA ist in dieser Hinsicht wahrscheinlich nicht besser oder schlechter als andere Branchen“, sagt Shirley Malcolm, die bei der AAAS für Bildung und Personal zuständig ist. „Aber wir müssen uns das Problem und die Lösungen offen zu eigen machen. Wir müssen offen darüber diskutieren und ehrlich sein, es darf nichts mehr versteckt werden.“

“Vollkommenes Neuland“ eines bekannten Problems

Die Forscher ringen mit sich, das wird schnell deutlich. Eigentlich sehen sie sich an der Speerspitze der Gesellschaft beim Erkennen von Problemen und Finden von Lösungen - wie kann es da sein, dass ausgerechnet Hollywood dieses Problem an das Licht der Weltöffentlichkeit gezerrt hat? Und die Universitäten und Forscherverbände des Landes erst ganz langsam überhaupt zugeben, dass es ein Problem gibt - geschweige denn vorschlagen, was man dagegen unternehmen könnte?

„Für uns ist das vollkommenes Neuland“, sagt Malcolm, „auch wenn zumindest wir Frauen das Problem natürlich eigentlich seit Jahrzehnten kennen und diese Diskussion längst hätte geführt werden müssen.“ Die Institutionen und Verbände machen sich viele Sorgen: Wo sollen das Geld und die Kapazitäten herkommen, um all den Vorwürfen nachzugehen? Wird es Wissenschaftler geben, die ungerechtfertigterweise beschuldigt und deren Karrieren damit zerstört werden? Und werden Vorwürfe die Finanzierung von Forschungsinstitutionen negativ beeinflussen?

Starke Hierarchien

Zudem sei die Wissenschaft völlig anders als Hollywood, sagt Jamie Lewis Keith, Anwältin der Beratungsfirma EducationCounsel in Washington. „In der Entertainment-Industrie werden Menschen aus Filmen herausgeschnitten oder der Film wird nicht veröffentlicht. Das scheint mir in unserer Branche nicht zu funktionieren.“

Die Grundlagen, die sexuelle Belästigung in der Wissenschaft möglich machen, seien die starken Hierarchien und die immer noch deutliche Mehrheit der Männer in der Forschung, gerade bei Naturwissenschaften, sagt Meg Urry, Astrophysikerin an der Elite-Universität Yale. „Wir haben keine Gleichheit von Geschlechtern in unserer Gesellschaft und unsere wissenschaftlichen Institutionen spiegeln das wider.“ Besonders stark trete das Belästigungsproblem bei Forschungsvorhaben außerhalb der Heimat-Universität auf.

Neue Regeln und Ethikvorgaben

„Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Frauen zu mir gekommen sind und mir von ihren Erfahrungen erzählt haben“, sagt Urry. Eine ganze Bandbreite von Belästigungen sei da vertreten, nichts davon sei trivial. Eine junge Frau sei bei einer wissenschaftlichen Konferenz so lange von einem deutlich älteren Mann belagert worden, bis sie sich schließlich den Rest der Konferenz über in ihrem Hotelzimmer einsperrte. Eine andere junge Frau stellte die Ergebnisse ihrer Forschung auf einem Poster vor. „Was ist attraktiv an deinem Poster - außer Dir?“, fragte ein Mann.

Als Gegenmittel schlägt Urry zunächst strengere Regeln und Ethikvorgaben vor - ähnlich denen gegen die Fälschung von Forschungsergebnissen und Plagiate. Einige Wissenschaftsverbände, beispielsweise der der Geophysiker, haben das schon umgesetzt.

Auch die National Science Foundation hat ihre wichtigen Förderungen kürzlich mit neuen Richtlinien verknüpft. An einigen Universitäten gebe es dagegen immer noch keine Regel, dass Professoren nicht mit ihren Studentinnen ausgehen dürfen, sagt Urry. Das müsse geändert werden. Zudem müssten auch die Männer unterstützend ihre Stimmen erheben.

„Die Veränderung muss jetzt passieren“, fordert Urry. „Und ich kann jeder Forschungsorganisation nur einen Rat geben: Wenn sie die Qualität hochhalten wollen, stellen sie Frauen ein.“

Christina Horsten, dpa

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