Gehirnerschütterung ohne Erschütterung

James Bond lässt grüßen: Vor rund einem Jahr litten US-Diplomaten auf Kuba unter Schwindel, Kopfschmerzen und anderen Beschwerden, nachdem sie ein merkwürdiges Geräusch gehört hatten. Waren es feindliche Angriffe? Die Fälle bleiben rätselhaft, sagen nun Mediziner.

War es eine Attacke mit einer unbekannten Schallwaffe? Ein Chemieangriff? Oder doch eine Massenpsychose? Die plötzlich aufgetretenen neurologischen Beschwerden einiger US-Diplomaten auf Kuba bleiben auch nach einer detaillierten medizinischen Untersuchung der Betroffenen rätselhaft.

Forscher der University of Pennsylvania zeigten, dass die Symptome am ehesten denen einer Gehirnerschütterung gleichen - nur das eben keine Erschütterung vorausgegangen war, wie sie im Fachblatt „JAMA“ berichten. Die meisten Betroffenen hatten zuvor ein durchdringendes Geräusch gehört, was Spekulationen über einen gezielten Angriff ausgelöst hatte.

Schwindel, Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen

Der erste Vorfall trug sich Ende Dezember 2016 zu, der bisher letzte bekannte ereignete sich im August 2017. 18 der insgesamt 21 betroffenen US-Regierungsangestellten berichteten, dass sie unmittelbar vor Beginn der Beschwerden ein unbekanntes, lautes Geräusch gehört hatten, dass viele als hoch, andere als tief beschrieben - als durchdringendes Quietschen, Summen oder Brummen. Zwölf Betroffene hatten einen ungewohnten Druck oder Vibrationen verspürt. Das Zuhalten der Ohren half dagegen nicht, allerdings ließen Geräusch und Druckempfindungen nach, wenn die Betroffenen den Ort wechselten.

Zu den aufgeführten Beschwerden zählten Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisstörungen. Um ein genaueres Bild zu bekommen, hatte die US-Regierung die Betroffenen an der University of Pennsylvania von einem Expertentross untersuchen lassen - darunter Neurologen, Arbeitsmediziner, Neuroradiologen sowie Fachärzte der physikalischen und rehabilitativen Medizin. Sie untersuchten die Betroffenen mit zahlreichen Tests und fertigten Aufnahmen ihres Gehirns an. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stellen die Experten nun in „JAMA“ vor. Im Schnitt lagen die Vorfälle zum Zeitpunkt der Untersuchung 203 Tage zurück.

Wie nach einem Schädel-Hirn-Trauma

20 Betroffene gaben demnach an, dass die Beschwerden langfristig anhielten, mehr als drei Monate. 14 der 21 Angestellten waren zum Zeitpunkt der Untersuchung noch immer nicht voll arbeitsfähig. Die meisten (17) litten unter einer kognitiven Beeinträchtigung wie Gedächtnisproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten oder dem Gefühl, geistig verlangsamt zu sein. 15 gaben an, unter Schwindel und Gleichgewichtsstörungen zu leiden.

Auch Schlafstörungen, Kopfschmerzen sowie Tinnitus und andere Probleme mit den Ohren wurden häufig genannt. Bei 18 Betroffenen konnten die Wissenschaftler objektive Beeinträchtigungen in einem oder mehreren der unterschiedlichen Bereiche feststellen. Die Aufnahmen des Gehirns waren weitgehend unauffällig.

Wenn einer dieser Patienten in einer Klinik für Gehirnverletzungen auftauchen würde, und der Arzt wüsste nichts über den Hintergrund, würde er von einem Schädel-Hirn-Traum ausgehen, ausgelöst durch einen Autounfall oder eine Explosion, erläutert Randel Swanson, einer der beteiligten Experten, in einem Artikel der JAMA-Wissenschaftsautorin Rita Rubin zur Studie. „Es ist wie eine Gehirnerschütterung ohne Erschütterung.“

Ursache unklar

Was die Beschwerden ausgelöst hat, war nicht Ziel der Untersuchung und ist weiter unklar. Das Geräusch selbst halten die Experten aber als Ursache für unwahrscheinlich. „Wir denken, das hörbare Geräusch war eine Konsequenz der Exposition, denn hörbare Geräusche lösen nach allem, was man weiß, keine Hirnverletzungen aus“, erklärt Douglas Smith, ein weiterer Mediziner. Hinweise auf einen Virus oder eine chemische Attacke fanden die Wissenschaftler nicht.

Auch eine Art Massenhysterie halten die Forscher für unwahrscheinlich. Kubanische Experten, die Aufnahmen des Geräuschs gehört hatten, kamen zu dem Schluss, es könne sich um das Zirpen einer Grille handeln. Die amerikanischen Mediziner haben keine Anzeichen entdeckt, dass die Betroffenen simulieren - das sei bei einigen der Beschwerden auch gar nicht möglich. Sie hätten im Gegenteil großen Willen gezeigt, wieder zur Arbeit zurückzukehren und ihre Beschwerden loszuwerden.

Die Experten wollen in nächster Zeit weitere Untersuchungen vornehmen, um der rätselhaften Ursache der Beschwerden vielleicht doch noch auf die Spur zu kommen.

science.ORF.at/dpa