Es gibt keine Wildpferde mehr

Nach der bisher umfangreichsten Untersuchung ihres Erbguts muss der Stammbaum von Pferden umgeschrieben werden. Eine Folge: Das in der Mongolei lebende Przewalski-Pferd gilt nicht mehr als letztes lebendes Wildpferd.

Was eine internationale Forschungsgruppe mit österreichischer Beteiligung in einer aktuellen Studie berichtet, stellt das Wissen über Abstammung und Ursprung von Pferden auf den Kopf. Bisher ging man davon aus, dass alle heute lebenden Pferde von den Botai-Pferden abstammen. Die Botai-Kultur war vor rund 5.500 Jahren in der zentralasiatischen Steppe verbreitet, im Gebiet des heutigen Kasachstan. Archäologische Funde legten nahe, dass die Vertreter der Botai-Kultur die Ersten waren, die Pferde domestizierten. Sie nutzten die Tiere zum Reiten und Lasttragen, tranken aber auch ihre Milch und aßen ihr Fleisch.

Przewalski-Pferd in der Mongolei

Lee Boyd

Przewalski-Pferd in der Mongolei

Genaueste DNA-Untersuchung bisher

Die Botai-Pferde galten in der Wissenschaft bisher nicht nur als erste, sondern auch als der Ursprung aller bis heute domestizierten Pferde; die Przewalski-Pferde in der Mongolei wiederum als die letzte überlebende Art von Wildpferden.

Ein fast 50-köpfiges Forschungsteam unter Leitung von Ludovic Orlando von der Universität Kopenhagen ist den Fragen nun nachgegangen. „Wir haben die bisher genauesten Vergleiche des Erbguts fossiler Botai-Pferdeknochen und von heute lebenden Pferden gemacht“, erklärte die Genetikerin und Tierzüchterin Barbara Wallner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni), Mitautorin der Studie, gegenüber science.ORF.at.

Dabei kamen die Forscher zu unerwarteten Ergebnissen. Die Botai-Pferde entpuppten sich nämlich nicht als Vorfahren der heutigen Pferde, sondern als die Urahnen einer anderen Gruppe von Pferden, die vor rund 5.000 Jahren in der zentralasiatischen Steppe lebten. Außerdem zeigte sich zur weiteren Überraschung der Wissenschaftler, dass auch die vermeintlichen „Urwildpferde“ - die Przewalski-Pferde - eigentlich Abkömmlinge der einst domestizierten Botai-Pferde sind.

Keine Wildpferde, aber genauso zu schützen

Die Przewalski-Pferde, die 1969 in freier Wildbahn als ausgestorben galten und deren Wiederansiedlung in der Wüste Gobi Vetmeduni-Forscher seit 20 Jahren wissenschaftlich begleiten, dürften also „wilde Abkömmlinge der ersten domestizierten Pferde“ sein.

„Das stellt natürlich ihre bisherige Bezeichnung als die letzten lebenden Wildpferde infrage“, so Orlando. Die „Degradierung“ vom letzten Wildpferd zum nächsten Verwandten der ersten domestizierten Pferde sollte laut dem Forscher jedoch keine Auswirkungen auf den Schutz der Tiere haben.

Visualisierung: So könnte ein historisches Przewalski-Pferd ausgesehen haben

Ludovic Orlando, Seas Goddard und Alan Outram

Künstlerische Illustration: So könnte ein historisches Przewalski-Pferd ausgesehen haben

Ursprung in Ungarn oder Rumänien?

Woher die heutigen Pferde kommen, ist somit unklar. Die aktuellen DNA-Analysen lassen laut den Forschern aber den Schluss zu, dass es vor 5.000 bis 4.100 Jahren zu einer Ausweitung der Pferdepopulation gekommen sein dürfte.

Es scheint, als ob damals Menschen auf einen neuen, womöglich besser geeigneten Pferdetyp stießen und diesen dann weiter züchteten. Als Ort, an dem dieser wichtige Schritt vonstattenging, kommen laut Orlando neben dem Westteil der eurasischen Steppe am ehesten das heutige Ungarn oder Rumänien infrage.

science.ORF.at/APA

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