Was Rabenrufe bedeuten

Für Laien klingt ein Rabe wie jeder andere. Wiener Verhaltensforscher können in dem Gekrächze hingegen erstaunliche Details erkennen - etwa die Botschaft: „Hier ist Futter.“ Oder: „Ich bin männlich und zwei Jahre alt.“

Sozial betrachtet sind die Kolkraben eigentlich zwei Arten in einer. Als Erwachsene treten sie nur paarweise auf, den Nachwuchs umsorgend und sesshaft im familiären Territorium. Im Jugendalter indes ist alles noch nicht so geordnet. Da ziehen die Raben als „Freiflieger“ umher und legen dabei hunderte Kilometer zurück, mal in großen Schwärmen, dann wieder allein. Stoßen die Vögel auf Aas - in der freien Wildbahn ihre Hauptnahrungsquelle -, dann heißt es, die Gunst der Stunde zu nutzen und zu fressen, solange etwas da ist. Aber das ist ein riskantes Unterfangen.

Futtersuche: Gemeinsam gegen Wölfe

„Vor allem Bären oder Wölfe können für Raben sehr gefährlich werden. Da brauchen sie die Hilfe von ein paar Artgenossen“, sagt Markus Böckle, Zoologe an Uni Wien bzw. an der Cambridge University. Im Verband lenken die intelligenten Raben nämlich Raubtiere durch Finten und Täuschungsmanöver ab - und schaffen es so, ihnen bisweilen ein Stück zu stibitzen.

Rabe beim Rufen

Georgine Szipl

Was meint der Rabe, wenn er krächzt?

Das setzt allerdings voraus, dass Raben Artgenossen zur Hilfe rufen können. Das tun sie mit dem sogenannten Futterruf, den sich Böckle nun mit seinen Kolleginnen von der Uni Wien genauer angesehen hat. Fazit der Studie im Fachblatt „Frontiers in Zoology“: Wenn die Raben krächzen, dann sagen sie damit wie erwartet etwas über die erhoffte Mahlzeit aus. Aber auch über sich selbst. Übersetzt hieße das etwa: „Hier ist Futter.“ Und: „Ich bin männlich und zwei Jahre alt“.

Alte Raben sind zu meiden

Dass die Vögel dazu imstande sind, schließt Böckle aus zwei Befunden. Erstens lernten die Wissenschaftler selbst im Laufe der Zeit die Rabenrufe zu unterscheiden, vor allem in Bezug auf Alter und Geschlecht. Und zweitens konnten sie diese Eigenschaften messen, die Signatur von Alter und Geschlecht war auch in einer akustischen Analyse klar ersichtlich. Der Schluss daraus: Wenn Menschen das erkennen können, dann können es Raben mit ihrem viel feineren Gehör allemal.

Audio: Alter (oben) und junger Rabe im Vergleich

Für das Überleben der Jungraben ist das Mitgeteilte ein durchaus wichtiger Hinweis, sagt Böckle. „Die Raben kennen einander nicht immer persönlich. Daher ist es wichtig zu erfahren, wie alt ein rufender Rabe ist. Ältere Raben treten nämlich gegenüber jungen aggressiv auf, weil sie ihr Territorium verteidigen.“ Das Ganze dient also einer Kosten-Nutzen-Rechnung: Der Futterruf junger Weibchen verspricht in der Praxis meist eine Mahlzeit, der Ruf älterer Männchen dagegen verspricht Ungemach, das man als vernünftiger Jungvogel eher vermeiden sollte.

Kommunikation oder Sprache?

Könnte man das Gekrächze der Raben als Sprache bezeichnen? Böckle bleibt vorsichtig: „Ich würde eher sagen, es ist eine Form der Kommunikation. Für Sprache im engeren Sinne fehlt noch ein wichtiges Element: nämlich die Erzeugung neuer Bedeutungen durch Grammatik.“ Ansätze dafür fänden sich eventuell bei Delphinen und Menschenaffen, sagt Böckle, doch auch sie könnten mit ihrem Vokabular bestenfalls vorsprachlich jonglieren. Für die intelligenten, aber sprachlich begrenzten Raben bedeutet das: Sie können zwar etwas sagen, aber sie sagen immer das Gleiche.

Robert Czepel, science.ORF.at

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