Manipulative Mimik

Glück, Trauer oder Angst - im Gesicht spiegeln sich die inneren Gefühle. Ist das tatsächlich so? Wissenschaftler präsentieren nun eine gewagte These. Sie lautet: Mimik ist dazu da, andere zu manipulieren.

Bei Ekel rümpft man die Nase, beim Lachen wandern die Mundwinkel nach oben und bei Trauer ziehen sich die Augenbrauen zusammen - diese Gesichtsausdrücke entstehen spontan und bereits Babys reagieren auf diese Weise. Schon Charles Darwin dachte daher, dass die Mimik unvermittelt die inneren Gefühle zeigt, wie er in „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ (1872) schreibt. Er ging davon aus, dass die Ausdrücke angeboren und universal sind.

Die Studie

„Facial Displays Are Tools for Social Influence“, „Trends in Cognitive Psychology“, Mai 2018.

Darauf aufbauend entwickelte der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman in den 1950er Jahren seine Theorie der sechs grundlegenden Gefühle: Wut, Angst, Ekel, Freude, Trauer und Überraschung. Die entsprechenden Gesichtsausdrücke gelten als universell. Das heißt, sie sollen überall auf der Welt - unabhängig von der jeweiligen Kultur - gleich sein. 80 Prozent aller Forscher, die sich mit Emotionen beschäftigen, glauben an diese Theorie - das ergab eine Umfrage vor zwei Jahren.

Doch nicht universal?

Dabei gibt es mittlerweile zumindest einige Gegenbelege. Denn manche indigene Gruppen scheinen das universelle Vokabular der Mimik nicht zu teilen. Die Tobriander, ein kleines Volk in Papua-Neuguinea, sehen zum Beispiel in einem typischerweise ängstlichen Gesicht ein drohendes, wie Carlos Crivelli von der britischen De Montfort University und Alan Fridlund von der University of California, Santa Barbara, in einem aktuellen Bericht schreiben.

Auch in anderen Weltgegenden finde man Widersprüche zur gängigen Theorie. Deren Anhänger erklären diese üblicherweise mit lokalen bzw. kulturellen Einflüssen - damit mache man es sich zu leicht, wie Crivelli und Fridlund finden. Abweichungen finden sich ihnen zufolge in vielen kulturellen Gruppen abseits der westlichen Normgesellschaften. Und nur in letzteren gebe es eine fixe Vorstellung zu inneren Gefühlen und ihrem sichtbaren Ausdruck. Die beiden Autoren vermuten, dass Kultur und Soziales generell eine viel größere Rolle spielen.

Was Ausdrücke wollen?

Sie schlagen ein alternatives Modell vor, wonach Gesichtsausdrücke nicht einfach das lesbare Vokabular der inneren Zustände sind, sondern vielmehr ein kommunikatives Werkzeug darstellen. Sie sollen das Verhalten des Gegenübers beeinflussen. Wie das geht, lernen Babys schon sehr früh, meinen die Forscher. Deswegen lächeln sie einen auch an, wenn sie Kontakt aufnehmen oder mit einem spielen wollen. Das ist nach dem neuen Modell nämlich die Funktion eines Lachens.

Wer traurig schaut, sucht hingegen Schutz und Beistand beim Gegenüber. Mit Wut versucht man, den anderen zum Aufgeben zu zwingen. Mit einem angsterfüllten Gesicht wehrt man sich laut Crivelli und Fridlund gegen eine Angriff und deutet seinen Rückzug an. Durch eine gerümpfte Nase bzw. Ekel signalisiert man, dass man mit dem momentanen Verlauf der Kommunikation nicht einverstanden ist. Die Ausdrücke verfolgen also in dieser Theorie alle einen sozialen Zweck; welche Gefühle dahinter stecken, ist mehr oder weniger egal.

Wenig romantische Vorstellung

Unter dieser Annahme gibt es auch kein „falsches“ Lächeln. Manchmal schauen Menschen nämlich auch freundlich, ohne es zu sein - in der klassischen Ekman’schen Weltsicht verstellen sie sich und sind unehrlich. Im neuen Modell verfolgen sie einfach bestimmte kommunikative Absichten. Ein weiteres Argument spricht laut Crivelli und Fridlund für ihre alternative Erklärung: Gefühlsausdrücke sind in Gesellschaft meist viel ausgeprägter als wenn man allein ist, weil sie eben einen sozialen Zweck erfüllen.

Wie die Autoren einräumen, wird es dennoch schwer sein, Zweifler zu überzeugen, nicht nur, weil man noch empirische Belege sammeln muss. Der alternative Ansatz stelle die romantisierende Vorstellung der menschlichen Kultur infrage, wonach „das Gesicht eine Kampfzone zwischen dem inneren authentischen Selbst und der äußeren Darstellung des Selbst“ bildet. „In unserer Theorie ist beides eine Illusion“, so die Autoren. Der Mensch sei ein einheitlicher Organismus und genauso wie Worte und Gesten gehören Gesichtsausdrücke zu seinen normalen sozialen Handlungen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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