Die große Armut der Natur

Wenn die globalen Temperaturen weiter steigen, wird es unter den Tier- und Pflanzenarten wenige Gewinner und viele Verlierer geben. Australische Forscher haben nun die Folgen berechnet: Auf die Erwärmung folgt der Schwund, die Ökosysteme verarmen.

Dass der Klimawandel vielen Lebewesen ihre Lebensgrundlage raubt und somit die weltweite Artenvielfalt bedroht, ist hinlänglich bekannt. Schwieriger ist es, diese Tendenz in globale Maßzahlen zu fassen. Das haben nun Forscher um Rachel Warren versucht.

Die Umweltforscherin von der University of East Anglia hat für insgesamt 115.000 Tier- und Pflanzenarten Zukunftsszenarien entworfen. Ausgangspunkt ihrer Studie war die Frage: Wie viele Arten würden bei fortschreitender Erwärmung mehr als die Hälfte ihres aktuellen Verbreitungsgebietes einbüßen?

Kaskaden des Artenschwundes

Wie die australischen Wissenschaftler im Fachblatt „Science“ schreiben, kann schon ein halbes Grad einen großen Unterschied bewirken. Bliebe die globale Erwärmung, wie im Pariser Klimavertrag festgehalten, auf zwei Grad beschränkt, wären für 18 Prozent der Insekten, 16 Prozent der Pflanzen und acht Prozent der Wirbeltiere solch drastische Folgen zu erwarten.

Bei 1,5 Grad Erwärmung, das Idealziel laut Pariser Klimavertrag, läge die Zahl der zurückgedrängten Arten deutlich darunter, nämlich bei sechs (Insekten), acht (Pflanzen) und vier Prozent (Wirbeltiere).

Schmetterling auf einer Blüte

Rob Liptak

Insekten spielen in vielen Ökosystemen eine Schüsselrolle - als Bestäuber wie als Nahrung für andere Arten

Das wäre ein Grund mehr, den Klimawandel Einhalt zu gebieten. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieser Befund eher akademischer Natur. Rechnet man die Zusagen bzw. Versprechen der am Pariser Klimavertrag beteiligten Staaten hoch, kommt man nämlich auf ein Plus von 3,2 Grad.

Auch dieses Szenario haben Warren und ihr Team berechnet: In diesem Fall befänden sich knapp die Hälfte aller Insekten und Pflanzen im großen Maßstab auf dem Rückzug, bei den Wirbeltieren etwa ein Viertel aller Arten. Anders ausgedrückt: Die Ökosysteme drohen zu verarmen. Monotonie statt Vielfalt, das ist laut Studie das Szenario der Zukunft.

Auch die Lösung wäre ein Problem

Der Schwund hätte besonders bei Insekten weitreichende Folgen. Da sie in vielen Ökosystemen als Bestäuber sowie als Teil der Nahrungskette eine Schüsselrolle einnehmen, wären von ihrem Verschwinden auch Pflanzen, Vögel und andere Tierarten betroffen. Was das konkret bedeutet, lässt sich schwer abschätzen, sagt der Münchner Ökologe Ingolf Steffan-Dewenter: „Aussterbekaskaden kann eine solche Modellierungsstudie nicht vorhersagen.“

Guy Midgley von der University of Stellenbosch in Südafrika macht in einem Kommentar zur Studie auf einen vielfach außer Acht gelassenes Problem aufmerksam. Würde sich die Staatengemeinschaft entschließen, mit vereinter Kraft etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, müsste sie wohl der Atmosphäre CO2 entziehen sowie erneuerbare Energieträger fördern. Also etwa Aufforstung betreiben sowie in Biomasse und Biotreibstoff investieren.

Diese Maßnahmen würden allerdings zusätzliche Naturfläche verbrauchen - und die ohnehin schon unter Druck geratenen Arten weiter zurückdrängen. Wie es aussieht, droht in beiden Fällen eine ökologische Krise. Mit und ohne Klimawandel.

Robert Czepel, science.ORF.at

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