Wird die Jugend wirklich immer dümmer?

Seit über 100 Jahren messen Tests den Intelligenzquotienten. Lange Zeit wuchsen die IQ-Werte, doch in einigen Ländern ist das nicht mehr so. Eine Studie zeigt nun, dass der IQ in Norwegen bei den nach 1975 Geborenen sogar fällt. Die Frage ist, warum?

Rund um 1900 kamen Psychologen auf die Idee, Intelligenz zu messen. Seit 1909 ist der IQ weltweit im Schnitt um etwa drei Punkte pro Jahrzehnt gestiegen, haben Wiener Forscher vor drei Jahren in einer Studie errechnet. Dieser ständige Anstieg heißt in der Fachwelt „Flynn-Effekt“, benannt nach dem Politologen James Flynn, der ihn 1984 zum ersten Mal beschrieb.

Höhepunkt 1975

Der „Flynn-Effekt“ galt lange als unbestritten, seit einigen Jahren häufen sich aber Hinweise, dass die IQ-Werte in den hoch entwickelten Ländern nicht ewig weitersteigen. Erste Studien dazu gab es aus Skandinavien, und die soeben in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlichte Arbeit schlägt in dieselbe Kerbe.

Ole Rogeburg and Bernt Bratsberg vom Ragnar-Frisch-Zentrum für Wirtschaftsforschung in Oslo haben IQ-Tests von 736.000 Männern verglichen, die zwischen 1962 und 1991 geboren wurden und 18 Jahre später ihren Militärdienst antraten. Resultat: Der Durchschnitts-IQ des Jahrgangs 1962 betrug 99,4, jener des Jahrgangs 1975 102,3. Beim Jahrgang 1989 war er aber wieder unter 100 gefallen.

Umwelt, nicht die Gene

Woher dieser Rückgang kommt, haben die Forscher in einem zweiten Schritt untersucht und dabei Hypothesen einer Befragung aus dem Jahr 2017 verwendet. Experten lieferten damals Erklärungen nach der alten Gretchenfrage „Umwelt oder Gene?“. Veränderte Umweltbedingungen betreffen etwa Ernährung, Hygiene und medizinische Versorgung, die die frühkindliche Entwicklung fördern und damit kognitive Fähigkeiten verbessern. Oder den Umstand, dass sich die Gemessenen besser auf die IQ-Tests vorbereiten und den strapazierten Spruch bestätigen, wonach „Intelligenz das ist, was ein Intelligenztest misst“. Unter die Rubrik „Erbanlagen“ fallen Ursachen wie Folgen von Migration oder die höhere Kinderanzahl von bildungsfernen Schichten.

Rogeburg und Bratsberg berichten nun, dass der IQ-Rückgang zumindest bei den norwegischen Jungmännern eindeutig an veränderten Umweltbedingungen liegt. An welchen genau, können sie mit ihrer Methode nicht sagen - und verweisen auf die „üblichen Verdächtigen“. In Frage kommen: Bildung, Medienkonsum, Ernährung und Gesundheit sowie indirekte Folgen der Migration.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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