473 Gene: Mehr braucht das Leben nicht

Craig Venter gilt als Biotech-Pionier. Im Jahr 2000 war er maßgeblich an der Entzifferung des menschlichen Erbguts beteiligt. Nun stellt er einen neuen Meilenstein vor: ein künstliches Bakterium, das mit nur 473 Genen leben kann – das ist Weltrekord in Sachen „Lebensminimalismus“.

Auf dem anderen Ende der Skala steht Paris japonica, ein japanischer Vertreter der Einbeeren: Das Erbgut der zu den Liliengewächsen gehörigen Pflanzen ist rund 50 Mal größer als jenes der Menschen. Und das besteht aus rund 22.000 Genen.

Minimalrekordler bei den natürlichen Lebewesen ist das Bakterium Mycoplasma genitalium mit 525 Genen. Unterboten wird es nun von dem „Syn 3.0“ benannten Lebewesen, das ein Team um den Biotech-Pionier Craig Venter hergestellt hat.

Erster künstlicher Organismus schon vor sechs Jahren

Wie der Name schon verrät, handelt es sich dabei nicht um das erste synthetisch produzierte Lebewesen. 2010 hatten die Forscher um Venter Gene eines Bakteriums mit einzelnen Erbgutstückchen nachgebaut und dieses Kunstgenom dann in eine andere Bakterienart eingesetzt. Die nun vom künstlichen Erbgut gekaperte Zelle produzierte nur noch Stoffe, die auf diesem gespeichert waren. Den künstlichen Organismus nannten die Forscher kurz „Syn 1.0“.

Die Studie

„Design and synthesis of a minimal bacterial genome“ von Clyde Hutchison und Kollegen ist am 24.3. in „Science“ erschienen.

In der aktuellen Studie stand die Frage im Mittelpunkt, wie viele der Gene von „Syn 1.0“ überhaupt notwendig sind, damit das synthetische Bakterium leben und sich teilen kann. In einem ersten Versuch gingen die Forscher vom – wie sie schreiben – „kompletten verfügbaren Wissen über das Erbgut“ aus und versuchten solch einen Minimalorganismus quasi vom Schreibtisch aus zu konstruieren. „Dabei sind wir gescheitert“, zeigt sich Craig Venter in einem Begleitartikel zur Studie überrascht. „Unser aktuelles Biologiewissen reicht nicht aus, sich einfach hinzusetzen, einen lebenden Organismus zu entwerfen und ihn dann zu bauen.“

Bakterium lebt und teilt sich

Der Weg zum Erfolg hieß: trial and error. Die Forscher teilten das aus 901 Genen bestehende Erbgut von Syn 1.0 in acht Bereiche, trennten einzelne Gene ab und setzten die Resultate in das Bakterium Mycoplasma capricolum ein. In nahezu allen Fällen geschah dann gar nichts: Die künstlichen Zellen mit ihrer Schmalspur-DNS lebten nicht.

Nach „einigen hundert Versuchen“ jedoch gelangten die Forscher zu jener Variante, der sie den Namen „Syn 3.0“ gegeben haben: Ihr Erbgut ist nur mehr halb so groß und verfügt doch über alle lebensnotwendigen Funktionen. Dem künstlichen Bakterium mangelt es zwar an fast allen Genen, die Eiweißstoffe herstellen, aber die allermeisten Gene für Informationsübertragung und Expression sind vorhanden.

Was die 473 Gene alles genau tun, weiß das Team um Venter indes nicht: Die Funktion von rund einem Drittel ist bisher unbekannt. Sie herauszufinden sei eines der nächsten Arbeitsziele. Generell glauben die Forscher einen Durchbruch geschafft zu haben: Denn mit dem „genetischen Leichtgewichts-Champion“ (Venter) könne man in Zukunft gut experimentieren – etwa durch die Hinzugabe einzelner Gene schauen, was passiert, und so auf deren Funktion schließen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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