Gebete für den Bartwuchs

Hunderte Gebetbücher aus byzantinischer Zeit enthalten zahlreiche Gebete für Alltagssituationen. Die bisher unbeachteten Quellen wurden nun in einer Datenbank gesammelt. Darin geht es etwa um den ersten Bartwuchs, Lernprobleme oder ums Käsemachen.

„Geschrieben wurden die Gebetbücher für den Gebrauch von Priestern, gelegentlich enthalten sie auch Notizen von deren Besitzern“, erklärte Claudia Rapp, Professorin für Byzantinistik an der Universität Wien und Leiterin der Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Veranstaltungshinweis

Öffentlicher Vortrag von Claudia Rapp und dem Forschungsteam zum Thema „Alltag in Byzanz. Gebetbücher als Spiegel des täglichen Lebens“ am 7. April, 19.00 Uhr, Otto Mauer‐Zentrum, 9. Währinger Straße 2‐4

Die Wittgenstein-Preisträgerin 2015 erforscht in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Alltag und Religion: Byzantinische Gebetbücher als sozialgeschichtliche Quelle“ diese unscheinbaren, kaum dekorierten Manuskripte, die bisher weder von der Schriftkunde, noch von der Kunstgeschichte beachtet wurden.

2.000 Manuskripte

Das älteste handschriftlich erhaltene Gebetbuch stammt aus dem späten 8. Jahrhundert und liegt in der Vatikanbibliothek. So wie das Gros der Handschriften aus byzantinischer Zeit stammen auch die meisten Gebetbücher aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. Selbst in späteren Jahrhunderten, also auch nach Einführung des Buchdrucks, wurden sie handschriftlich kopiert. „Für unser Projekt setzen wir einen Endpunkt mit dem Jahr 1650, dem Erscheinen einer maßgeblichen Druckausgabe eines Gebetbuchs“, so Rapp.

Der genaue Umfang des Bestands sei noch unklar, die Kataloge der Handschriftenbibliotheken oft ungenau. Die Byzantinistin rechnet mit mindestens 2.000 Manuskripten, die in dem Projekt erforscht werden sollen. Mittlerweile ist der Bestand an Handschriften in der - in Zukunft auch öffentlich zugänglichen - Datenbank auf 460 Gebetbücher angewachsen.

„Kleine“ Gebete

Die Gebetbücher, die griechische Bezeichnung lautet „Euchologion“, bestehen aus zwei Teilen. Im ersten Teil stehen Mess-Liturgien sowie Riten für Hochzeit, Taufe oder Begräbnis, die bereits liturgiewissenschaftlich untersucht werden. Die Byzantinisten interessieren sich für die sogenannten „kleinen Gebete“ im zweiten Teil der Gebetbücher.

Und die beziehen sich auf alle möglichen Anliegen des täglichen Lebens: Es gibt sie für die Landwirtschaft, etwa den Almauftrieb im Frühsommer oder die Weinernte, für Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Dürre, für die Bildung, etwa den ersten Schultag oder bei Lernschwierigkeiten, für Familienereignisse wie eine Geburt, und selbst für die priesterliche Segnung einer brüderlichen Beziehung zwischen zwei Männern.

Je nach Zeitepoche und Region, in denen diese Manuskripte erstellt wurden, unterscheiden sich die Anliegen und Abfolgen der Gebete erheblich. In der Datenbank wollen sie die Wissenschaftler in ihrer historischen Entwicklung und regionalen Spezifizität über einen Zeitraum von neun Jahrhunderten erfassen.

science.ORF.at/APA

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