Forscher wollen Zeitzonen abschaffen

Nun beginnt die Sommerzeit - an diesem Wochenende werden die Uhren wieder eine Stunde vorgestellt. Nach Ansicht von Wissenschaftlern könnte dieses Ritual bald ein Ende haben: Sie plädieren für die Abschaffung sämtlicher Zeitzonen.

Zweimal im Jahr drehen wir Mitteleuropäer an der Uhr - im Frühjahr eine Stunde vor und im Herbst eine Stunde zurück. Und das, obwohl die Sommerzeit ökonomisch gesehen eigentlich nichts bringt. Ansonsten richtet sich Österreich nach der Mitteleuropäischen Zeit (MEZ). Bewegen wir uns nach Osten in Richtung Russland, müssen wir die Uhren vorstellen, jeweils um eine Stunde, Zeitzone für Zeitzone. Reisen wir nach Westen über den Atlantik, stellen wir die Uhren zurück. Genau damit soll Schluss sein, geht es nach dem Wirtschaftsforscher Steve Hanke vom Cato-Institut , einer Denkfabrik in den USA. „Wir sollten alle in derselben universellen Zeitzone leben“, fordert der Amerikaner.

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet auch Ö1 im „Dimensionen“-Magazin am 25. März um 19.05 Uhr.

„Egal, ob Sie in Wien sind, in Neu-Delhi, in Peking, New York oder in San Francisco: Wir hätten die gleiche Zeit auf unseren Armbanduhren.“ Hanke sieht die Vorteile einer einzigen Weltzeit vor allem im ökonomischen Bereich. Die weltweite Kommunikation und der Börsenhandel wären wesentlich einfacher zu handhaben, wenn alles in derselben Zeitzone stattfindet. Aktien würden um Punkt 8.00 Uhr verkauft, weltweit an jeder Börse. „Der größte Vorteil ist, dass es keine Verwirrung mehr darüber gibt, wann genau eine finanzielle Transaktion erfolgen soll“, so Hanke, „wir würden einfach das Durcheinander vermeiden.“

Die universelle Zeit

Nicht nur Geschäftsleute, auch Wissenschaftler fordern seit Langem eine Vereinheitlichung der Zeitrechnung. So bedient sich etwa die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA der sogenannten koordinierten Weltzeit UTC. Sie geht vom Nullmeridian aus, dem Längengrad, der durch den Londoner Stadtteil Greenwich verläuft. Auch Meteorologen, Seefahrer, Piloten und Wissenschaftler auf Forschungsstationen in der Antarktis verwenden die UTC. Forscher der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen würden heute schon mit der UTC arbeiten, so Hanke, etwa auch um Raumsonden zeitgenau und zielgerichtet zu Planeten zu schicken. „So schleichen sich keine Fehler ein.“

Doch es gibt Gegenstimmen, die – mit Recht – argumentieren, dass es ja schon eine Weltzeit gibt, eben die UTC. Und außerdem: Wer hat schon Lust, ins Bett zu gehen, wenn es noch hell ist, nur weil die universelle Weltzeit es so verlangt? Das sei ein sehr weit verbreitetes Missverständnis, sagt Dick Henry, Astronom an der Johns Hopkins University in Baltimore. Die Zeit auf unseren Armbanduhren wäre zwar überall auf der Welt identisch. Die Menschen würden aber unabhängig von der Uhrzeit nach wie vor aufstehen, wenn die Sonne aufgeht und zu Bett gehen, wenn es dunkel wird, so Henry. „An unseren Gewohnheiten würde sich nichts ändern.“

Alles eine Frage der Gewöhnung

Aber umgewöhnen müssten wir uns schon. Das aber sei keine Kleinigkeit, sagen Wissenschaftler, die die Abschaffung der Zeitzonen für schädlich halten. Die Vereinfachung der Zeitrechnung – beispielsweise bei Langstreckenflügen und Ferngesprächen – würde verlangen, dass wir für unser tägliches Leben umdenken.

„Hier in meiner Zeitzone, in Baltimore, wo die Eastern Standard Time gilt, arbeite ich momentan von 9.00 bis 17.00 Uhr“, so Henry. Gäbe es jetzt nur noch die eine Weltzeit UTC, würde der Wissenschaftler von 4.00 bis 12.00 Uhr arbeiten. Es sei aber nur der Zeigerstand auf der Uhr, der sich ändere, nicht unser Lebensrhythmus. Hanke sieht das genauso. Das Entscheidende seien die Uhrzeiten, an die wir uns gewöhnen müssten. Der Tag-Nacht-Rhythmus und der eigentliche Tagesablauf würden nicht angetastet, so der amerikanische Ökonom.

„In London, wo die Universal Time ihren Ursprung hat, würde sich nichts ändern.“ In der britischen Hauptstadt würden die Shops weiterhin um 9.00 Uhr öffnen und um 17.00 Uhr schließen - in New York würden sie dann stattdessen von 14.00 bis 22.00 Uhr geöffnet haben. „Ansonsten bleibt alles beim Alten“, so Hanke. Unser Tagesablauf sei an den Sonnenstand gekoppelt, nicht an die Uhrzeit. Niemand müsse also sein Geschäft mitten in der Nacht öffnen.

75 Zeitzonen in den USA

Außer dem Festhalten an Gewohnheiten gebe es eigentlich keine Argumente, die gegen eine solche einmalige Zeitumstellung sprechen, sagen die wissenschaftlichen Befürworter der Zeitzonenabschaffung. Schließlich gebe es historische Präzedenzfälle. In den Vereinigten Staaten gab es im Jahr 1870 noch 75 verschiedene Zeitzonen der Eisenbahngesellschaften. Allein in der Stadt St. Louis existierten sechs unterschiedliche Zeitzonen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entschlossen sich die Eisenbahngesellschaften, ihre Zeiten zu vereinheitlichen. Seitdem gibt es in den USA nur noch die vier heutigen Zeitzonen.

Doch das Abschaffen der Zeitzonen ist für den Astronomen Henry nur ein erster Schritt. Seine Vorschläge gehen noch weiter: Nicht nur die Uhrzeiten, auch die Tage sollten vereinheitlicht werden. „Jedes Jahr, wieder und wieder, müssen wir uns umstellen.“ Jeder, der mit dem Gregorianischen Kalender arbeite - jedes Unternehmen, jede Universität, jede Organisation -, der müsse umdenken.

Geschäftliche Treffen, Fußballspiele - alles würde an anderen Tagen stattfinden. „Das sind völlig überflüssige Veränderungen“, so Henry, „es ist ein enormer Aufwand und außerdem eine Geldverschwendung.“ Irgendjemand müsse ja schließlich all die Anpassungen, egal ob gedruckte Kalender oder Onlinevorschauen, umsetzen.

Eine Woche lang „Schaltparty“

Im Wesentlichen heißt das: Jedes Jahr verschieben sich die Daten um mindestens einen Tag, manchmal sogar um zwei Tage. 2015 fiel der österreichische Nationalfeiertag – der 26. Oktober - auf einen Montag, heuer wird es ein Mittwoch sein. Henry geht es darum, jedes Jahr den gleichen Kalender zu haben. „Dann könnten wir ihn auch bald auswendig.“ Wir wüssten dann zum Beispiel, dass der 26. Oktober immer auf einen Donnerstag fällt.

Das einzige Problem dabei: Die Erde benötigt für einen Sonnenumlauf die krumme Zahl von 365,2422 Tagen. Damit sich die Jahreszeiten nicht mehr und mehr nach hinten verschieben, müsste alle fünf oder sechs Jahre, am Ende eines Jahres, eine Schaltwoche eingefügt werden - statt Schaltsekunde oder Schaltjahr (so wie 2016) also gleich sieben Schalttage. Ungewöhnlich, aber warum nicht - schmunzelt Henry, dann könnten wir alle fünf oder sechs Jahre eine Woche lang Party feiern.

„Es würde allen gefallen“

Egal ob Kalenderreform oder Abschaffung der Zeitzonen - eines ist klar: Es müsste die ganze Welt mitmachen. Und das könnte trotz historischer Vorbilder schwierig werden. „Irgendjemand sagt immer, dass etwas nie funktionieren würde“, so Henry. Er erinnere sich jedoch daran, wie er einst seine Mutter in Kanada angerufen habe. Sie habe sich über die hohen Temperaturen von 30 Grad beklagt. „Ich dachte, ich höre nicht recht: Kanada hatte umgestellt von Fahrenheit auf Celsius - und meine Mutter hatte den Wechsel mitgemacht.“ So würde das Henry zufolge auch mit der Zeitumstellung gehen. Nach einem Jahr hätten sich alle daran gewöhnt und das System verstanden. „Und ich denke, es würde allen gefallen.“

Guido Meyer, science.ORF.at

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