Schneller als die Theorie erlaubt

Astronomen haben die Ausdehnung des Universums so genau bestimmt wie nie zuvor. Die Messung selbst ist ein bedeutender Fortschritt - doch sie führt zu Widersprüchen: Am Standardmodell der Kosmologie scheint etwas faul zu sein.

Man kann sie weder hören noch sehen, aber sie ist da, überall, im ganzen Universum: Die kosmische Hintergrundstrahlung ist ein Echo des Urknalls. Für die Physiker ist dieses Echo mehr als ein bloßer Widerhall - denn dem kosmischen Mikrowellenhintergrund ist die Geschichte des Kosmos gewissermaßen eingeschrieben: Die Strahlung hat eine Durchschnittstemperatur von 2,7 Kelvin. Auf kleinsten Maßstäben zeigen sich allerdings Unregelmäßigkeiten, die Temperatur schwankt, sie fluktuiert, und mit Hilfe dieser Fluktuationen können Physiker berechnen, wie das Universum in Urzeiten aussah - und wie es sich später entwickelt hat.

Das Universum wächst und wächst

Vor drei Jahren haben Forscher die Messdaten des Planck-Satelliten verwendet, um die Kapitel dieser großen Erzählung in eine präzise Fassung zu bringen: Kurz nach dem Urknall blähte sich das Universum für einen Sekundenbruchteil mit extremer Geschwindigkeit auf, dann wuchs es, wenn auch langsamer, weiter.

380.000 Jahre später war die Ursuppe der Materie so weit abgekühlt, dass sich Photonen frei bewegen konnten. So kam das Licht in die Welt. Die Ausdehnung des Universums hatte in der Zwischenzeit freilich nicht gestoppt, im Gegenteil, sie sich begann sich in den darauffolgenden Jahrmilliarden wieder zu beschleunigen.

Und sie tut das offenbar bis heute: Das Licht ferner Galaxien weist darauf hin, dass sich diese von uns wegbewegen. Nicht deshalb, weil sich die Galaxien selbst im Raum bewegen würden (was nicht ausgeschlossen ist), sondern deshalb, weil sich der Raum selbst ausdehnt.

Das physikalische Maß für die Ausdehnung des Raumes ist die sogenannte Hubble-Konstante. Sie lässt sich auch auf direktere Weise bestimmen, nämlich über verlässlich leuchtende Sterne, auch „Standardkerzen“ genannt.

Widersprüche treten auf

Wissenschaftler um den Amerikaner Adam Riess haben nun solche Standardkerzen in 18 verschiedenen Galaxien unter die Lupe genommen. Ihre Messungen sind wohl ein Meilenstein der experimentellen Kosmologie, die Hubble-Konstante wurde noch nie so genau vermessen wie diesmal. Allein, das Ergebnis will nicht so recht in den kosmologischen Kanon passen.

Die von Riess bestimmte Ausdehnungsgeschwindigkeit ist um ca. acht Prozent größer als jene, die das Planck-Konsortium vor drei Jahren erhoben hat. Da hilft es auch nicht, die Differenz durch statistische Unsicherheiten wegerklären zu wollen - der Widerspruch bleibt manifest.

Sollte keines der beiden Experimente fehlerhaft sein, und momentan gibt es dafür keine Hinweise, liegt die Ursache wohl in der Theorie. „Ich glaube, da ist etwas am kosmologischen Standardmodell, das wir nicht verstehen“, sagt Riess. Insgeheim haben wohl nicht wenige Astronomen gehofft, dass es einmal so kommen würde. Denn falls tatsächlich mit dem Standardmodell etwas nicht stimmt, muss eine neue Physik her.

Ansatzpunkte, die Theorie zu verändern, gäbe es zuhauf. Riess hat für etwaige Reformen zwei kosmische Antagonisten im Auge: die Dunkle Materie und die Dunkle Energie. Beide sind unsichtbar (daher ihr Name), und beide haben beträchtlichen Einfluss auf das Schicksal des Kosmos.

Die Dunkle Materie sorgt durch ihre Schwerkraft für den Zusammenhalt der Galaxien. Die Dunkle Energie ist dafür verantwortlich, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.

Kosmologie am Scheideweg?

Riess zufolge könnten die Bestandteile der Dunklen Materie Eigenschaften aufweisen, die man bisher nicht bedacht hat. Träfe das zu, müssten bereits die ersten Kapitel der kosmischen Evolutionsgeschichte neu geschrieben werden.

Eine andere Option wäre, dass es sich bei der Dunklen Energie um keine physikalische Konstante handelt. Sollte ihre Wirkung im Lauf der Zeit zugenommen haben, wären die Konsequenzen ebenfalls grundlegend.

Das sehen auch einige von Riess’ Kollegen so. Etwa Kevork Abazajian von der University of California in Irvine. Er kommentierte kürzlich gegenüber dem Fachblatt „Nature“, die neuen Messungen könnten „die ganze Kosmologie verwandeln“.

Etwas gelassener betrachtet Wendy Freedman die Angelegenheit. Die Astrophysikerin von der University of Chicago wies kürzlich darauf hin, dass man sich die Standardkerzen noch einmal näher ansehen sollte. Die könnten womöglich doch nicht so verlässlich sein wie bisher gedacht. Das wäre vermutlich die einfachste Möglichkeit, den Widerspruch aufzulösen - allerdings auch die langweiligste.

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: