Drohnen ändern die Regeln des Kriegs

Die USA töten seit Jahren Terroristen in anderen Ländern mit Drohnen – und bewegen sich damit in einer rechtlichen und moralischen Grauzone. Die ferngesteuerten Miniflieger haben die Regeln des Kriegs geändert, meint der Philosoph Herbert Hrachovec.

Die neue „Luftwaffe“ stelle Fragen, auf die man nicht bloß mit Empörung oder Genugtuung reagieren kann, schreibt er in einem Gastbeitrag.

Drohnen, eine neue Luftwaffe

Von Herbert Hrachovec

Porträtfoto von Herbert Hrachovec

Herbert Hrachovec

Der Autor

Herbert Hrachovec ist außerordentlicher Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien.

Predigtzyklen des Imams Anwar Awlaki zirkulieren als CD-Kassetten und sind im Internetarchiv abgelegt. Eine Folge über das Leben nach dem Tod beginnt mit dem Bild einer Bahnfahrt:

„We, the human race, living on this earth, are under the presumption that we belong here and this is our residence and home. We don’t know or we don’t want to know the fact that we are on a train ... and this train is going to another station. That we do not belong here.“

Unweigerlich erinnert dieses Motiv an ein Kirchenlied: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh’, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“

Der Prediger wurde als Sohn eines jemenitischen Ingenieurs in New Mexico, USA, geboren und 2011 von einer US-amerikanischen Drohne im Heimatland seines Vaters getötet. Die Richtung seiner „Bahnfahrt“ war nicht abzusehen. Nasser Awlaki, ein Befürworter des „American Way of Life“ hatte für seinen Sohn eine Karriere in der politischen Elite des Entwicklungslandes geplant und musste zusehen, wie er sich radikalisierte. Aufgewachsen in den Vereinigten Staaten, akzentfrei und mit der Jugendkultur vertraut, trat er nach 9/11 zunächst für friedliche Verständigung ein, drehte sich aber später, nach Großbritannien ausgewandert, in Richtung Terrorismus.

Ein Prediger wird zu „Objective Troy“

Scott Shane, Korrespondent der „New York Times“, zeichnet die Entwicklung nach, in der Awlaki zum „Objective Troy“ wurde. (Nach einer Gepflogenheit des CIA werden von der Agentur ausgesuchte menschliche Ziele nach Städten im Bundesstaat Ohio benannt.)

Ihm konnten Verbindungen zu Nidal Malik Hasan, dem US-amerikanischen Militärpsychiater, nachgewiesen werden, der 2010 in Fort Hood ein Blutbad anrichtete. Und Umar Farouk Abdulmutallab, ein nigerianischer Staatsbürger, der 2009 durch Sprengstoff ein Flugzeug über Detroit zum Absturz bringen wollte, hörte auf den „Geistlichen“, der mittlerweile nicht nur predigte, sondern Anschläge gegen die USA auch operativ unterstützte. Shane legt sorgfältig die Schichten frei, aus denen dessen hybride west-östliche Persönlichkeit bestand.

Ein orthodoxer Muslim, dem das FBI auf seinem Weg zu Prostituierten folgte; ein Akademiker in den USA und Exilant im Stammesgebiet seines Familienclans; auf Intervention der USA in Sanaa verhaftet und ein Bewunderer von Charles Dickens, den er im Gefängnis liest. Und, was das persönliche Drama übersteigt: Anwar Awlaki war US-amerikanischer Staatsbürger. Er wurde mit direktem Einverständnis des Präsidenten im Ausland von einer ferngesteuerten Waffe umgebracht.

Drohnen ändern Theorie und Praxis

Despoten lassen ihre Feinde willkürlich beseitigen. Im Gegensatz dazu ist ein Verfassungsstaat an Gerichtsverfahren gebunden. Demokratien können in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sein und sollten dabei dem internationalen Kriegsrecht folgen. Den eigenen Staatsbürgern gegenüber sind sie an die lokalen Gesetze gebunden. Awlaki als US-Bürger verbirgt sich in einem unregierbaren Territorium und dirigiert Attacken gegen sein Geburtsland. Soll man ein Mordkommando schicken?

Liberale und libertäre Kritiker haben Barack Obama vorgeworfen, genau das getan zu haben. Shane ist ausgewogener. In einer Buchpräsentation nennt er als sein Ziel, beide Seiten zum Nachdenken zu bringen. Er beschreibt den Beginn des strategischen Einsatzes von Drohnen unter G. W. Bush und dessen Intensivierung ab 2014 unter Obama. Die Einsatzgebiete waren anfangs Afghanistan und Pakistan, die juridische Ermächtigung durch einen Kongressbeschluss zum Kampf gegen die Taliban vermutlich verfassungskonform.

Die USA ist mit dem Jemen nicht im Krieg. Sie darf keine Kampfhandlungen in sein Gebiet tragen. Im Fall Awlaki müsste sie seine Bestrafung und/oder Auslieferung fordern. So sieht es das geltende Recht vor. Awlaki agitierte ungestraft aus seiner versteckten Position. Früher hätte man ein Ultimatum gestellt und dann „den Krieg erklärt“. Das passt auf Situationen, in denen einander Staaten bekämpfen. Der Aufwand und die Opferzahlen dabei waren mitunter gewaltig. Drohnen ändern dieses Kalkül.

Rechtliche Grauzone

„Unmanned Arial Vehicles“ eignen sich für geplante, präzis gezielte Einzelaktionen mit vergleichsweise geringen Kollateralschäden. Sie sind diskrete Tötungsinstrumente. Shane beschreibt die Verfahrensweise des Weißen Hauses beim Versuch, der ferngesteuerten Tötung von Staatsangehörigen einen juridisch vertretbaren Rahmen zu geben.

Das „Office of Legal Counsel“ berät den Präsidenten in Rechtsfragen und bereitete Dokumente vor, auf deren Grundlage Obama in einer Rede 2013 den Drohneneinsatz öffentlich verteidigte.

Das Buch erfüllt sein Ziel, Empörung wie Genugtuung über Drohnenangriffe (2015 hießen sie 58 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung gut) mit Fragezeichen zu versehen. Die Analogie mit einem Polizeieinsatz, die zur Verteidigung herangezogen wurde, scheint weit hergeholt, denn Eingriffe im Ausnahmefall sind an strikte Regeln der nationalen Legislatur gebunden. Entsprechende Kontrollen in fernen Ländern bestehen nicht.

Büchse der Pandora ist geöffnet

Umgekehrt ist die Vorstellung einer „internationalen Gemeinschaft“ souveräner Staaten, an die in solchen Fällen zu appellieren wäre, wirklichkeitsfremd. Faktum ist, dass aus rechtlosen Enklaven mit Hilfe von moderner Technik mörderische Gewalt gegen die Zivilbevölkerung bestehender Staaten organisiert wird. „Der Terror“, das ist oft gesagt worden, ist kein militärischer Gegner. Dann muss man die Herausforderung eben adäquater beschreiben, inklusive des Stellenwerts von Drohneneinsätzen.

Drohnen erledigen ihr Geschäft mit weniger Aufsehen und Menschenopfern als Bombardements oder Invasionen. Sie bieten tödliche „Konfliktlösungen“ im Kleinen, wenn man - dem Kriegsrecht folgend - bereit ist, kriegsähnliche Aktionen als Konfliktlösung im Extremfall zu hinzunehmen. Einfacher kann man die Sache nach der Lektüre von „Objective Troy“ nicht sehen.

Ein Hauptargument gegen diese Waffe kommt aus pragmatischen Überlegungen. Die USA hat eine Pandorabüchse geöffnet. Noch besitzt sie, zusammen mit einer Handvoll technologisch avancierter Staaten, ein Monopol auf derart global einsetzbare Geräte. Das bleibt nicht so und wird die Ordnungshüter im Weltkonflikt, den sie mit verursacht haben, selbst treffen.

Mehr zu diesem Thema: