Glyphosat: Weitere Verfälschung der Tatsachen?

Krebserregend oder nicht - das ist die Kernfrage in der Debatte rund um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Derzeit wird über seine Neuzulassung in Europa verhandelt, im Mai sollen Experten darüber entscheiden. Ein neues Gutachten liefert den Kritikern weitere Argumente.

Im letzten Frühjahr stufte das Institut IARC der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das weltweit am häufigsten verwendete Pflanzenschutzmittel Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen“ ein. Daraufhin verzögerte sich das EU-Verfahren zur Neuzulassung - die derzeitige läuft Ende Juni ab. Im März dieses Jahres tagte dann erstmals der zuständige Fachausschuss der Europäischen Kommission. Die Experten konnten sich nicht einigen, die Entscheidung wurde vorerst auf Mitte Mai vertagt.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 21.4. um 12:00.

Ebenfalls im März drückte die Umweltorganisation Global 2000 ihre Zweifel an der Redlichkeit der Zulassungsbehörden und der Hersteller in Form einer Anzeige aus: Einfacher, schwerer sowie gewerbsmäßiger Betrug lautete der Vorwurf.

Fachlich untermauert wurde die Anzeige von der Analyse eines deutschen Toxikologen, der zufolge die Behörden die Krebseffekte in einigen Mäusestudien verschleiert hätten, indem sie Tatsachen verdreht und die Daten nicht den Richtlinien entsprechend ausgewertet hätten.

„Systematische Falschauslegung“

Nun will ein deutscher Epidemiologe weitere Beweise für eine systematische Falschauslegung von Studien gefunden haben. In diesen geht es nicht um Tiere, sondern um Menschen, wie Eberhard Greiser von der Universität Bremen gegenüber science.ORF.at ausführt: „Es geht um eine ganze Reihe von Studien, in denen unter anderem untersucht wurde, ob der Kontakt mit Glyphosat das Risiko für bestimmte Krebsarten erhöht.“

Laut Greiser bestätigen einige Untersuchungen den Verdacht, dass Glyphosat krebserregend und erbgutschädigend sein kann. Nur: Im Verfahren um die Neuzulassung wurden diese Studien von den zuständigen Behörden, dem deutschen Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) sowie der europäischen Agentur für Ernährungssicherheit (EFSA), nicht berücksichtigt. Sie seien nicht zuverlässig, lautete die offizielle Begründung.

Der deutsche Experte kann das nicht nachvollziehen: „Als Epidemiologe bin ich fast vom Stuhl gefallen, als ich die Bewertung gelesen habe. Die Behörden haben darin behauptet, dass die Studien Gesundheitsfaktoren wie Rauchen und Vorerkrankungen nicht berücksichtigten. Und das stimmt einfach nicht. Ich würde sogar von systematischer Falschauslegung sprechen.“

Anzeige ergänzt

Man brauche die Studien, die übrigens zum Teil in hoch angesehenen Journalen publiziert wurden, nur zu lesen, so Greiser. Natürlich seien Einflussfaktoren wie Rauchen in die Auswertung eingeflossen, das gehöre bei epidemiologischen Studien zum Standard. Außerdem hätten die Behörden aus nicht nachvollziehbaren Gründen bei der Bewertung Kriterien für Tierversuchsstudien herangezogen.

Greiser selbst hält die Chemikalie sehr wohl für gesundheitsschädlich, das hat er in einem Gutachten zusammengefasst. Damit brachte Global 2000 am Donnerstag in Berlin eine Nachtragsanzeige ein. Das Umweltinstitut München schloss sich an.

Wie sich die Vorwürfe auf die Neuzulassung von Glyphosat auswirken, bleibt abzuwarten. Der zuständige Fachausschuss soll Mitte Mai darüber entscheiden.

Das kritisierte deutsche Bundesinstitut für Risikoforschung reagierte in einer schriftlichen Stellungnahme auf die Vorwürfe: „In dem sogenannten Gutachten wird zudem behauptet, dass Studien als ,not reliable‘ abqualifiziert wurden, weil angeblich relevante Daten (z. B. Rauchverhalten) nicht erhoben worden seien. Richtig ist, dass in den Studien zahlreiche relevante Lebensstilfaktoren abgefragt wurden, aber ihr Einfluss auf das Ergebnis nicht immer transparent und nachvollziehbar berichtet wurde.“ Generell liefere das Gutachten keinen neuen inhaltlichen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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