Spuren in Österreich heute noch gut messbar

Beim Super-GAU im Kernkraftwerk Tschernobyl vor 30 Jahren hat radioaktives Material nicht nur die Umgebung verseucht. Es gelangte über Luftströmungen auch nach Österreich. Die Spuren können bis heute gemessen werden - vor allem im Wald und seinen „Produkten“.

Österreich gehörte 1986 zu den am stärksten von Tschernobyl betroffenen Ländern Mittel- und Westeuropas. Nach drei Tagen erreichte die radioaktive Wolke Österreich, und mit dem Regen gelangten radioaktive Teilchen in den Boden. Milch, Blattgemüse wie Spinat und Salat und später auch Fleisch durften im Sommer und Herbst 1986 phasenweise nicht verkauft werden, erst im Winter normalisierte sich die Situation langsam.

YouTube-Video der ZAMG: Ausbreitung der Tschernobyl-Wolke

Ausnahmefall Wald

Ein Ausnahmefall waren und sind bis heute die Wälder: „Der Grund liegt im Wesentlichen darin, dass das Radiocäsium in Waldböden in den obersten Schichten relativ gut fixiert ist. Es kann also nicht tiefer wandern, ist aber für Pflanzen und Pilze verfügbar“, erklärt Manfred Ditto, Abteilungsleiter für Strahlenschutz im Gesundheitsministerium.

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Über die Spuren von Tschernobyl berichtete auch das Mittagsjournal.

Rehe und Hirsche fressen diese Pflanzen, Wildschweine wühlen im Boden und inhalieren dabei feine Erdpartikel - ihr Fleisch ist deshalb bis heute deutlich stärker mit Cäsium-137 belastet als etwa Fleisch von Weiderindern. Das hat auch ein Forschungsprojekt gezeigt, das die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und die Universität für Bodenkultur (BOKU) durchgeführt haben. Tiere und Pflanzen aus dem Kobernaußer, dem Dunkelsteiner und dem Weinsberger Wald wurden untersucht - Gegenden, die bekanntermaßen stark belastet waren bzw. sind.

Belastetes Wildschweinfleisch

Von den elf Pilz- und 15 Beerenproben wurde nur bei je einer Probe eine geringe Überschreitung des Grenzwerts festgestellt. Anders sah es bei Wildschweinfleisch aus, wo 15 von 16 Proben stärker belastet waren, als es der Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) erlaubt.

Bei im Handel erhältlichem Wildfleisch - also Fleisch nicht nur von Wildschweinen, sondern auch von Rehen, Hirschen, Hasen etc. - gibt die AGES aber Entwarnung. Seit 2004 wurden knapp 1.000 Wildfleischproben von Schlachthöfen in ganz Österreich auf ihren Cäsium-137 Gehalt untersucht, darunter 134 Wildschweine. Bei insgesamt sechs Proben wurde eine Überschreitung des Grenzwerts festgestellt, bei über 90 Prozent lag der Wert unter 100 Bq/kg.

Vorsicht bei Maronenröhrlingen und Reifpilzen

Bei Pilzen muss man nach wie vor bei einzelnen Arten aufpassen. Manfred Ditto vom Gesundheitsministerium nennt Maronenröhrlinge und Reifpilze: „Sie sind noch immer stark belastet, von ihrem übermäßigen Verzehr raten wir ab. Aber bei den Eierschwammerln und Steinpilzen liegen die Mittelwerte deutlich unter den Grenzwerten, ihr Konsum stellt in der Regel kein Problem dar“.

Steinpilze in einem Korb

dpa/Holger Hollemann

Entwarnung bei importierten Pilzen

Regelmäßig gibt es in österreichischen Supermärkten, aber auch auf Wochenmärkten importierte Pilze aus Russland oder Litauen zu kaufen. Vor radioaktiver Belastung brauche man sich nicht zu fürchten, sagt Strahlenschützer Ditto: „Heimische Eierschwammerln sind stärker belastet als importierte.“ Das habe mehrere Gründe: Zum einen kommt diese Importware aus Regionen, die durch Tschernobyl weniger betroffen waren als Österreich. Und zum anderen wissen die Importfirmen, wo sie Schwammlern und Pilze kaufen. „Sie wissen, dass Ware aus bestimmen Regionen den Grenzwert überschreiten und gleich gar nicht in Verkehr kommen würde.“ Wenn schon, dann sollte die fehlende Regionalität der Grund sein, warum man die Finger davon lässt.

Wie stark belastet uns also Tschernobyl heute noch? „Im Durchschnitt sehr wenig“, lautet die Antwort seitens der Forschung. Durchschnittlich isst jeder Österreicher und jede Österreicherin im Jahr ein halbes Kilogramm Wildfleisch. Vergleicht man die Strahlenbelastung durch diesen Konsum mit der kosmischen Strahlung bei einem Flug, so kommt Strahlenschützer Manfred Ditto auf diese Gleichung: „Der Verzehr einer normalen Wildfleischmenge entspricht in etwa der Dosis eines halbstündigen Flugs.“

Keine Furcht, aber Respekt

Und auch AGES und BOKU stellen fest: „Die Auswirkungen von Tschernobyl tragen nur zu einem sehr geringen Anteil zur durchschnittlichen Strahlenbelastung der österreichischen Bevölkerung bei.“ Selbst wenn man zehnmal im Jahr Wildschweinfleisch isst, das den Grenzwert um das knapp Achtfache übersteigt, beträgt die aufgenommene Dosis 0,15 Millisievert (mSv) pro Jahr. Zum Vergleich: Ein Lungenröntgen entspricht einer Dosis von 0,05 bis 0,09 mSv, eine Mammografie 0,2 bis 0,3 mSv. Und die natürliche Strahlenbelastung in Österreich ist sowieso viel höher, sie beträgt zwei bis drei mSv pro Jahr.

Furcht vor den Spuren von Tschernobyl ist deshalb unnötig; Respekt davor, dass auch 30 Jahre nach einem Reaktorunglück mehr als 1.000 Kilometer von Wien entfernt deutliche Spuren in Österreich gemessen werden können, scheint hingegen sehr wohl angebracht.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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