Was „Tschuri“ über Kometen verrät

Dem Kometen „Tschuri“ können Astronomen nur mehr hinterherwinken, denn er entfernt sich von der Sonne. Die Raumsonde „Rosetta“ schickt noch Daten. Der überraschenden Natur von Kometen widmet sich nun eine Tagung.

Selbstkritik in diesem Ausmaße kommt nicht oft vor in der Wissenschaft. Aber Kathrin Altwegg vom Physikalischen Institut der Universität Bern muss zugeben: Die bisherigen Hypothesen hinsichtlich des Vorkommens von Sauerstoff auf Kometen scheinen falsch zu sein. „Man hat immer angenommen, Sauerstoff sei viel zu aktiv, würde mit allem reagieren, und darum sei er schon längst verschwunden“, grübelt die Schweizer Physikerin.

Woher kommt der Sauerstoff?

Aber er ist noch da. Molekularer Sauerstoff ist sogar das vierthäufigste Element in der Gas- und Staubwolke, die den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko umgibt. Und das kam für die Wissenschaftler der Rosetta-Mission überraschend. Der Sauerstoff ist rein biologisch. „Das Sauerstoffmolekül wird von Pflanzen produziert - und wir verbrauchen es dann“, erklärt Altwegg.

Tagung

How primitive are comets?

Ö1 Sendungshinweis:

Wissen aktuell, 27.4., 13:55 Uhr

Auf „Tschuri“ jedoch gebe es kein Leben. Deswegen könne der Sauerstoff dort nicht biologischen Ursprungs sein. Da sein Anteil außerdem konstant bleibt, gebe es für die Forscher daher nur eine Erklärung: Er müsse vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sein, in derselben Wolke aus Eis, Staub und Gas, aus der sich auch der Rest des Sonnensystems gebildet hat. „Der Sauerstoff muss in den Eiskörnern erzeugt worden sein, bevor die Eiskörner den Kometen gebildet haben“, glaubt Kathrin Altwegg.

Der Komet Tschuri

ESA/Rosetta/NavCam – CC BY-SA IGO 3.0

Der Komet Tschurjumow-Gerasimenko

Und in den vergangenen Wochen ist noch eine weitere Überraschung hinzugekommen: Nachdem Sauerstoff auf Tschurjomow-Gerasimenko entdeckt worden ist, hätten sich die Wissenschaftler noch einmal die Daten der Giotto-Mission aus den 1980er Jahren angesehen.

Und auch dort, auf dem Halleyschen Kometen, haben sie nun, 30 Jahre später, Sauerstoff nachgewiesen. Somit hat sich der Sauerstoff binnen weniger Wochen von einem Element, das gar nicht erwartet worden war, zu einem Molekül entwickelt, das wahrscheinlich kometentypisch ist. „Sauerstoff dürfte wohl auf allen Kometen vorkommen“, glaubt Kathrin Altwegg nunmehr.

Ein Komet wie alle?

Eine andere Gemeinsamkeit teilt Tschurjumow-Gerasimenko mit einem weiteren Kometen, nämlich Hale-Bopp: Dort wurden erstmals Aminosäuren entdeckt. Es sieht ganz so aus, als könne das Rosetta-Team diese Grundbausteine des Lebens nun erneut nachweisen.

Und auch mit dem Zielkometen der Stardust-Mission gibt es Gemeinsamkeiten. Der Komet Wild 2 muss aus Material bestehen, das erhitzt wurde. Es muss sich einst nahe an der Sonne befunden haben, bevor er in das äußere Sonnensystem geschleudert wurde. “Ein Großteil von Tschurjumow-Gerasimenko scheint ebenfalls aus solchem Material zu bestehen“, erklärt Alessandra Rotundi aus der Abteilung Wissenschaft und Technologie der Universität von Neapel . „Sein Aufbau ähnelt somit dem des Kometen Wild 2“

Tschuris Sollbruchstelle

Und eine weitere Erkenntnis ist in den vergangenen Wochen gewachsen: Ein Riss in der Mitte des Kometen scheint sich zu vergrößern. Diese längliche Spalte am Kometenhals hatte OSRIS , das Optical, Spectroscopic and Infrared Remote Imaging System an Bord von Rosetta, vor etwa einem Jahr zum ersten Mal fotografiert. In diesem Monat gab es neue Bilder. Und sie legen nahe, dass der Riss größer geworden ist, bestätigt Holger Sierks, der Chef des OSIRIS-Teams am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen.

„Wir schauen derzeit bevorzugt auf die Ränder des Risses, um zu sehen, ob er weiter in die Länge gewachsen ist.“ Wenn der Sonnenstand und die unterschiedlichen Aufnahmewinkel den Kameras keinen Streich spielen, zeigen sich auf aktuellen Fotos von April 2016 neue, längere Spalten. Sie erstrecken sich jetzt über mehr als einen halben Kilometer und sind bis zu drei Meter breit. Wie tief sie sind, kann Rosetta nicht feststellen. Astronomen wissen aber, dass Kometen eine Tendenz haben zu splitten. „Etwa 20 Prozent der Kometen brechen irgendwann auf und bilden Teilkörper“, so Sierks.

In den kommenden Wochen soll sich Rosetta dem Kometen immer mehr annähern, bis auf weniger als zehn Kilometer, um die Spalten im Verbindungssteg des Kometen genauer zu untersuchen. Tschurjumow-Gerasimenko ist wahrscheinlich ein aus zwei Teilen zusammengesetzter Komet. Möglich, dass er irgendwann auseinanderbricht und wieder zu zwei Himmelskörpern zerfällt.

Guido Meyer, science.ORF.at

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