„Tyrannenkinder“: Halt statt Gehorsam

Die Kids von heute sind leistungsverweigernd, verhaltensoriginell und voll von Widerstand. Das schreibt die Wiener Autorin Martina Leibovici-Mühlberger in ihrem neuen Buch. Experten sehen die Eltern gefordert, den Kindern eine starke Hand zu reichen.

Das Buch „Tyrannenkinder“ drückt den Finger auf einen wunden Punkt unserer Gesellschaft, sagt Soziologe und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. Die Autorin Martina Leibovici-Mühlberger, Ärztin, Psychotherapeutin und Familiencoach, habe den Zeitgeist sehr gut eingefangen.

Der Titel Tyrannenkinder sei zwar ein wenig übertrieben, aber „es sind gleichgültige, kühle, selbstgefällige, egozentrische Menschen, die wir erziehen. Wir erziehen Menschen, die in erster Linie an sich selbst arbeiten und sich von Gemeinschaftsaufgaben, so gut es geht, fernhalten“, so Heinzlmaier.

Individuum statt Gesellschaft

Die Ursachen für diese Entwicklung sind aus Sicht von Heinzlmaier vielfältig. Aus soziologischer Sicht stecke auf jeden Fall der der Trend hin zum sogenannten Ego-Menschen dahinter.

"Individualethik kommt vor Sozialethik, das heißt jeder hat seine eigenen Wertvorstellungen, seine eigenen moralischen Maßstäbe, und die setzt er bedenkenlos durch. Es geht um den persönlichen Nutzen, der steht im Mittelpunkt. Der Kollektivnutzen tritt in den Hintergrund“, sagt der Jugendforscher.

Erziehung in der Krise

In diesem Umfeld sei es für Eltern schwer Kinder zu erziehen, ihnen einen Weg aufzuzeigen, sie anzuleiten. Denn oftmals sind Väter und Mütter selbst überfordert, sagt die Kinderpsychiaterin und Neurologin Brigitte Hackenberg. Die Eltern wollen alles richtig machen, wissen aber nicht, wie.

"Wenn wir uns die heutigen Eltern anschauen, dann pendeln sie zwischen den ganz alten Vorbildern - wir nennen das Rohrstaberl-Pädagogik - und der Idee der unendlichen Freiheit und Kreativität des Kindes. In dieser Ambivalenz verlieren die Eltern von heute sehr oft das, was das Kind braucht, nämlich ihre Sicherheit und ihre Stärke“, so Hackenberg.

Stärke statt Macht

Das Fazit der Kinderpsychiaterin: Das Buch „Tyrannenkinder“ zeige ohne Zweifel ein gesellschaftliches Problem auf, das man ernst nehmen sollte, aber so pessimistisch wie Soziologe Bernhard Heinzlmaier schätzt Brigitte Hackenberg die Lage nicht ein. Man könne gegensteuern und auch in einer auf Individualismus beruhenden Gesellschaft sozialbegabte Mädchen und Buben erziehen.

„Wir haben es tatsächlich mit tyrannischen Mustern zu tun, aber nicht mit tyrannischen Mädchen und Buben, sondern mit Kindern, die nach Halt suchen und mit ihrer Tyrannei die Eltern so lange provozieren, bis sie wissen, wie stark die Eltern sind.“ Wenn Eltern den Kindern unterlegen sind, so Hackenberg, dann würden sie ihnen etwas ganz Wichtiges nehmen, nämlich den haltgebenden Schutz, den Kinder - vor allem vor der Pubertät - brauchen.

Kinder von heute bräuchten also Eltern mit einer neuen Art der Autorität nach Haim Omer: stark statt mächtig. Man müsse die Eltern ermutigen, das zu sein, was sie sein sollten - liebevolle, haltgebende, richtungsweisende Väter und Mütter.

Gudrun Stindl, Ö1 Wissenschaft

Mehr zur Arktis in science.ORF.at: