Warum Menschen im Flieger ausrasten

In Flugzeugen ist es oft eng, voll und laut: ein Stress, der bei vielen Menschen Unbehagen auslöst. Er ist aber nicht der Grund für Wutausbrüche, die immer häufiger werden. Verantwortlich ist laut einer neuen Studie die „Zweiklassengesellschaft“ an Bord.

Im Englischen gibt es für das Phänomen einen treffenden Fachausdruck: “Air Rage“; in einschlägigen Lexika definiert als „gewalttätiges und wütendes Verhalten von Flugzeugpassagieren gegenüber dem Personal oder Mitreisenden“.

Große Aufmerksamkeit erreicht „Air Rage“, wenn prominente Persönlichkeiten anfangen, im Flugzeug zu randalieren oder ausfallend zu werden, und Flugzeuge deswegen zwischenlanden müssen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist vermutlich Gerard Depardieu, der im Jahr 2011 zum Ausdruck seiner Unzufriedenheit in eine Flugzeugkabine der Air France urinierte.

Aber auch andere prominente Fluggäste wie Kate Moss oder Alec Baldwin fielen durch ungutes Benehmen auf und mussten sogar das Flugzeug verlassen, da sie sich dem Flugpersonal gegenüber aggressiv und uneinsichtig verhalten haben.  

Flugzeug als Miniversion der Gesellschaft

Warum es zu solchen Wutausbrüchen bei Durchschnittsbürgern kommt, haben nun die beiden Psychologen Katherine DeCelles und Michael Norton in einer Studie untersucht. Sie analysierten die Daten von 100.000 Flügen einer internationalen Airline aus dem Jahr 2010. Bei der – aus „Vertrauensgründen“ nicht genannten Fluglinie – ist es in dem Zeitraum zu 189 Fällen von „Air Rage“ gekommen; 158 in der Economy Class, 31 in der Business oder First Class.

„Diese Klassenunterschiede an Bord sind dafür verantwortlich, wenn Fluggäste herumpöbeln oder handgreiflich werden“, lautet das Fazit von Katherine DeCelles, Psychologin an der Universität Toronto. Die Flugzeugkabine sei quasi eine Miniaturversion der Gesellschaft: „Eine kleine, stark konzentrierte Welt der Zwei-Klassengesellschaft."

Der Mechanismus für die Wut funktioniert ungefähr so: Steigen Durchschnittsbürger in ein Flugzeug und wollen die Economy Class erreichen, so müssen sie zuerst die First Class im Flugzeug passieren. Was sie sehen, sind bequemere Sitzplätze, mehr Bewegungsfreiraum und viele weitere Vorteile, die eben nur exklusiv für privilegiertere Gäste erschwinglich sind. Und das verstärkt die Neigung zu späteren Wutausbrüchen. Schon die bloße Existenz einer Ersten Klasse vervierfacht die Wahrscheinlichkeit von „Air Rage“ – eine gleich starke Wirkung hat ein Flug, der mit neun Stunden Verspätung beginnt.

Ungleichheit macht wütend

Es sind also nicht so sehr die objektiven Unterschiede, die die Menschen wütend werden lassen – etwa eine geringere Beinfreiheit in der Economy Class –, sondern das Wissen um sie. Auch wenn die Gründe dafür in der aktuellen Studie nicht untersucht wurden, weiß man von vergangenen Arbeiten, dass sich Menschen schlechter fühlen, wenn sie ungerecht oder ungleich behandelt werden.

Warum aber neigen auch die Privilegierten zu mehr Wut? Aus den gleichen Gründen, sagen die Psychologen. Wenn sozusagen „die ganze Welt“ beim Einsteigen durch ihre Erste Klasse durchmarschiert, dann stärkt das ihr Bewusstsein der Privilegierung – und das führt zu mehr antisozialem Verhalten. Zielscheiben ihrer Wut sind in erster Linie die Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen.

Ganz im Sinne der gegenwärtigen politischen Kultur fallen die Ratschläge von Katherine DeCelles aus: Um das Auftreten von „Air Rage“ zu unterbinden, sollten die Fluglinien in Zukunft ausschließlich gesonderte Eingänge für die unterschiedlichen Klassen verwenden, so die Psychologin.

Stefanie Stadler, Ö1 Wissenschaft

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