Die Unruhe der Welt und des Gelds

Die Unruhe ist der Antriebsmotor der modernen Welt: Sie erzeugt Fortschritt, Produktivität und Mobilität. Noch mehr Unruhe habe Geld in die menschliche Gesellschaft gebracht - so die These des deutschen Soziologen Dirk Baecker.

Die Unruhe prägt nicht nur die gegenwärtige Gesellschaft, sondern ist in der abendländischen Kulturgeschichte tief verwurzelt. Sie findet sich bereits im Alten Testament als Fluch: „Ruhelos und rastlos sollst Du sein!“ - als bestimmender Faktor für eine Menschheit, die aus dem Ruhezustand des Paradieses vertrieben wurde.

Mit der Vertreibung aus dem Paradies begann die Unheilsgeschichte der Menschheit, die mit mühseliger Arbeit verbunden war. Der Mensch musste im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen. Der Zustand der Ruhe galt nunmehr als Luxus; das „Sein-zur-Unruhe“ charakterisierte die Lebensweise. Im Verlauf der Zivilisation mutierte dann die Arbeit, die zur Existenzsicherung diente, zur Lohnarbeit, die mit Geld bezahlt wurde.

Magische Qualität des Geldes

Karl Marx hat in seiner Schrift „Ökonomisch-Philosophische Manuskripte“ die alles umwälzenden Eigenschaften des Geldes beschrieben. Der Gebrauchswert, der bisher das gesellschaftliche Leben bestimmte, wurde durch das Universaläquivalent Geld ersetzt. Das Geld, das die Eigenschaft besitzt, alles zu kaufen, erhielt eine magische Qualität; wer es besitzt, verfügt über bisher ungeahnte Kräfte.

Das Geld realisierte die Wünsche und Bedürfnisse der Individuen; „es übersetzt sie aus ihrem gedachten, vorgestellten, gewollten Dasein in ihr sinnliches, wirkliches Dasein, aus der Vorstellung in das Leben, aus dem vorgestellten Sein in das wirkliche Sein. Als diese Vermittlung ist das Geld die wahrhaft schöpferische Kraft“ (Marx). Als diese Kraft erzeugte das Geld eine produktive Unruhe, es weckte weitere Bedürfnisse, die wilde Jagd nach immer mehr begann.

Geld als universeller Nivellierer

Das Geld als Universaläquivalent generierte nicht nur den Furor des Konsumismus, sondern zerstört stabile soziale und familiäre Bindungen, wie bereits Friedrich Engels und Karl Marx im Kommunistischen Manifest ausgeführt haben.

"Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst“, heißt es dort, „alles Ständische und Stehende verdampft“.

Euro-Münzen und Cents

Tobias Hase/dpa

Literatur und Links

Ralf Konersmann: Die Unruhe der Welt, S. Fischer Wissenschaft
Dirk Baecker: Die Unruhe des Geldes, der Einbruch der Frist; in: Rätsel Geld. Annäherungen aus ökonomischer, soziologischer und historischer Sicht, herausgegeben von Waltraud Schelkle und Manfred Nitsch, Metropolis Verlag
Georg Simmel: Philosophie des Geldes, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 806
Zygmunt Bauman: Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne“ Hamburger Edition

Geld macht den Dingen Beine (Alexander Kluge spricht mit Dirk Baecker, Youtube)
Karl Marx zu Geld (Ökonomisch-philosophische Manuskripte)

Biographie

Dirk Baecker studierte Nationalökonomie und Soziologie an den Universitäten Köln und Paris-IX (Dauphine); Promotion und Habilitation an der Universität Bielefeld bei Niklas Luhmann. Nach der Lehrtätigkeit an der Zeppelin University, Friedrichshafen Arbeitsschwerpunkte: soziologische Theorie, Theorie der Gesellschaft, Wirtschafts- und Organisationssoziologie. Zurzeit arbeitet Baecker an der Universität Witten/Herdecke, wo er dem Lehrstuhl für Kulturtheorie und Management sowie der Fakultät für Kulturreflexion vorsteht.

Ähnlich argumentierte der deutsche Soziologe Georg Simmel, der von 1858 bis 1918 lebte: „Geld ist der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichlichkeit rettungslos aus“.

Diabolisches Geld gebiert Ungeheuer

Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann bezeichnete diese destruktive Kraft des Geldes als „diabolisch“, weil das Geld eine grundlegende Spaltung der Gesellschaft vornimmt: Nur wer den Preis einer gewünschten Ware bezahlen kann, bekommt, was er wünscht.

Wer dazu nicht in der Lage ist, wird zum sozialen Outcast, zum Exkludierten. Wer über keine finanziellen Ressourcen verfügt, ist nicht im Stande, sich am allgemeinen Konsumrausch zu beteiligen und wird deswegen für die Gesellschaft uninteressant; er ist ein „Überflüssiger“, wie ihn der englische Soziologe Zygmunt Bauman genannt hat.

Die alltägliche Unruhe des Geldes

Den destruktiven Charakter des Primärwerts Geld ortet der in Witten Herdecke lehrende Soziologe Dirk Baecker im Alltagsleben. Im Gespräch mit science.ORF.at erwähnt er die Unruhe des Geldes, die zahlreiche Menschen betrifft. So sind viele Sparbuchinhaber von der Annahme ausgegangen, dass ihre Spareinlagen Stabilität gewähren. Wenn aber die Spareinlagen dahin schmelzen oder gar über Negativzinsen diskutiert wird, ist der Faktor Stabilität der Unruhe gewichen.

Die Unruhe des Geldes hat auch mit Fristen zu tun - argumentiert Baecker - weil das Geld, das ich heute auf meinem Konto habe, wegen der Preissteigerungen und der Inflation im Gefüge der Wirtschaft nur eine begrenzte Zeit denjenigen Wert besitzt, den er zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat. Man ist unsicher, welcher Anteil von dem ersparten Vermögen noch bleibe - so Baecker - „wir stürzen von der Welt des finanziell abgesicherten Lebens in die Welt der Sorge“.

Die unternehmerische Sicht

Baecker plädiert dafür, auch die Sichtweise des Unternehmers zu berücksichtigen. Dem Unternehmer werde im marxistischen Diskurs die Rolle des Diabolischen zugewiesen; ihm komme es nur darauf an, so lautet der Standardvorwurf, eine möglichst hohe Profitrate für sich zu erzielen.

Dabei wird nicht berücksichtigt, dass der Unternehmer ebenfalls unter großem Druck stehe, den die Unruhe des Geldes erzeugt. Eine Investition lohne nur, wenn der Unternehmer die Aussichten auf finanziellen Erfolg, der sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes einstellen kann, richtig einschätze.

Ambivalenz des Geldes

Die rein negative Bewertung des Geldes kann Baecker nicht teilen. Er wendet sich gegen die von Marx ausgehende kritische Haltung, die das Geld als Störenfried einer Gesellschaft ansieht. Der Soziologe, der eng mit Niklas Luhmann zusammengearbeitet hat, spricht von der Ambivalenz des Geldes, die bereits von Luhmann selbst vertreten wurde.

Neben dem bereits erwähnten diabolischen Aspekt des Geldes gebe es noch eine symbolische Seite, die neue gesellschaftliche Verbindungen ermögliche, denen bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Diese Chance ergibt sich, wenn das Geld - bedingt durch Nullzinsen und möglichen Negativzinsen den Stellenwert einer zentralen Instanz verliert, die das gesellschaftliche Leben reguliert.

Das Geld verliert seine Kraft

An die Stelle des Geldes, das seine Funktion als Regulativ zu verlieren droht, könnten andere Faktoren treten, wie sie bereits in Theorien über Netzwerkgesellschaften von dem spanischen Soziologen Manuel Castells diskutiert wurde. Es ist vor allem der Bereich der digitalen Information, der die symbolischen, verbindenden Aspekte, die durch das Geld erfolgen, ersetzt.

Als Beispiel nennt Baecker - übrigens wie auch Zygmunt Bauman - den Online-Versandhändler Amazon, der durch netzwerkartige Informationen die Bedürfnisse der Kunden speichert, um sie zu neuen Käufen zu animieren.

Die Minimaldiskurse von Bruno Latour

Baecker thematisiert die Gefahr, dass die Netzwerkgesellschaft einer immer mächtiger werdenden Elite den Kapitalismus ohne Rücksicht vorantreibt. Deswegen plädiert er für Bremsmechanismen, die denjenigen, die mit der Expansionsgeschwindigkeit nicht mithalten könnten, Rückzugsmöglichkeiten anbieten, um nicht als „Überflüssige“ - im Sinne Zygmunt Baumans - am Rand der Gesellschaft zu existieren.

„Wenn man darauf setzt, dass nur die Dynamischen die Gesellschaft bestimmen“ - so Baecker - machen wir einen großen Fehler“. Und er empfiehlt, einen Ratschlag des französischen Soziologen Bruno Latour zu befolgen: „Die Minimaldiskurse, die wir in jeder Gesellschaft brauchen, sind die Diskurse der Ökonomen, schnell, rechnend; die Diskurse der Politiker, langsam; und die Diskurse der Moralisten, wen habt ihr vergessen?“

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft

Mehr zum Thema: